Heimat Bote Nr. 35


Blick zurück im Zorn


Frankfurt. Was ist Heimat? In erster Linie ein häufig missverstandener Begriff. Manchem ist er so suspekt, dass er ihn tabuisiert. 1990 zum Beispiel sagte Oberbürgermeister Volker Hauff eine im Historischen Museum geplante Ausstellung des Bundes der Vertriebenen ab mit der denkwürdigen Begründung: "Am Anfang von Kriegen standen immer territoriale Gebietsansprüche gegenüber unseren Nachbarn." Daß die umstrittene und, wie sich erwies, zusammengeschusterte Ausstellung über "Verbrechen der Wehrmacht" sieben Jahre später gezeigt werden durfte, ist typisch für die politische Großwetterlage.
Um die hat sich Erika Steinbach (56) stets wenig gekümmert. Die Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) hat das Wort Heimat rigoros zum Gegenstand von Politik gemacht. Erst jetzt wieder, in Berlin: Polen, Tschechien und Slowenien müssten sich endlich "den materiellen Folgen der völkerrechtswidrigen Vertreibung und Enteignung" von Millionen Deutschen nach 1945 stellen. Sudetendeutsche verlangen, an dem mit 165 Millionen Mark auszustattenden deutschtschechischen Zukunftsfonds teilhaftig zu werden.
Eigentlich ist die SteinbachForderung nur konsequent. Unrecht lässt sich nicht gegeneinander aufrechnen wie Ausgaben und Einnahmen auf einem Konto: Die Unterstützung tschechischer SSOpfer ist unter menschlichem Aspekt ebenso nachvollziehbar wie eine materielle Wiedergutmachung an Sudetendeutschen.
Offenbar besser als der Kanzler weiß Frau Steinbach, dass Geschichte nie schwarzweiß ist und wir, je länger die Zeit verrinnt, desto klarer auf sie zurückblicken. Auch auf jenes Unrecht, dass in den letzten Kriegswochen 1945 und danach an Deutschen begangen wurde. Jüngst hatte Gerhard Schröder vollmundig erklärt, deutsche Außenpolitik werde künftig nicht mehr durch Forderungen der Vertriebenen belastet. Die HobbyViolinistin aus Eckenheim hat mit ihrer zornigen Äußerung einen Querschuss gegen die behutsame Normalisierung der schwierigen Beziehungen zwischen Berlin und Prag abgegeben eine Normalisierung übrigens auf Kosten einer Volksgruppe mit fast vier Millionen Mitgliedern.
Diplomatie ist die Stärke der Erika Steinbach nicht. Das mag mit ihrer persönlichen Geschichte zu tun haben. Ihre westpreußische Heimat hat sie als Kind nicht bewusst erlebt. Sie erinnert sich, sagt sie, aber noch an Vertreibung und Flucht und die mageren Jahre nach dem Krieg. Geblieben sei ihr "ein starker Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit". Ob Asylrechtsmissbrauch ("Wir bedürfen in Deutschland einer Eingrenzung der Wirtschaftsflüchtlingsströme"), die staatliche Förderung homosexuel1er Lebensgemeinschaften ("Verstoß gegen die Interessen unseres Gemeinwesens"), Frauenquote ("CDUWählerinnen sind Familie, Kindergärten und Schulpolitik wichtiger als Emanzipation") oder Kruzifixurteil ("Fundament unserer christlichabendländischen Kulturtradition ist durchbohrt") die DiplomVerwaltungswirtin nimmt kein Blatt vor den Mund. Das hat ihr den Ruf einer nationalkonservativen Geisteshaltung eingebracht. Was ihr durchaus recht ist: "Ohne Werte", sagte sie einmal, "vor allem ohne gesundes Nationalgefühl, können wir die Aufgaben der Zukunft nicht lösen." Für solche Sätze erntet Erika Steinbach Applaus bei politischen Dämmerschoppen. Aber dort, weiß sie, sitzen diejenigen, die auch zur Urne gehen. Und zwei Millionen im BdV organisierte Vertriebene sind ebenfalls ein hübsches Wählerpotenzial.
Dabei hat sie durchaus ein Problem. Ein biologisches. Die Zahl derer, die Flucht oder Vertreibung noch selbst erlebt haben, geht naturgemäß gegen null. So mancher, dem der BdV suspekt ist, schließt daraus voreilig, dass Vertriebenenpolitik in naher Zukunft ohnehin obsolet ist.
Ein Irrtum. Denn mit dem Abtreten einer Generation werden ebenso wenig noch offene völkerrechtliche Probleme gelöst wie mit dem Verschwinden der ursprünglichen Vertreiberstaaten. Da müssen die EUAspiranten Polen und Tschechien noch brav ihre Hausaufgaben machen, wenn sie in die Staatengemeinschaft aufgenommen werden wollen. So sind zum Beispiel die BeneschDekrete, Grundlage für unsagbare Gräuel und Vertreibung, bis heute nicht aufgehoben.
Es wäre töricht, zu glauben, das Thema "Vertreibung" sei nahezu abgehakt. Es ist heute so aktuell wie vor 55 Jahren. Politikern wie Erika Steinbach ist es zu danken, dass wir immer wieder dran erinnert werden.

Dieter A. Graber,
Frankfurter Neue Presse, 22.5.00



Interview mit Erika Steinbach

Was bedeutet das Thema Heimat für die NachfolgeGenerationen der Vertriebenen? Nur noch Folklore?

Steinbach: Keineswegs. Folklore spielt wohl die geringste Rolle. Was im Vordergrund steht, ist die Neugier auf das, was die eigene Familie betrifft. Wir erleben jetzt, das sich gerade die Enkelgeneration sehr eingehend und engagiert mit der Thematik auseinander setzt.
Nun geht’s aber auch um Forderungen. Dürfen die Nachfolger der Vertriebenen noch Ansprüche stellen?

Steinbach: Das ganze Thema Vertreibung ist doch eine Menschenrechtsfrage. Die Verletzung von Menschenrechten verjährt nicht, deshalb ist das Thema nach wie vor aktuell. Solche Ereignisse darf es nie wieder geben. Dafür zu sorgen, ist eine ganz wichtige Aufgabe der Politik.
In der aktiven Politik sind heute kaum noch heimatvertriebene Volksvertreter zu finden. Ist das Thema damit nicht auch politisch über kurz oder lang erledigt?
Steinbach: Es ist so aktuell wie kaum je zuvor. Mit den jüngsten Geschehnissen auf dem Balkan ist es ganz deutlich ins Bewusstsein aller Politiker gerückt. Ein Indiz dafür, wie lebendig das Thema ist: In der CDU/CSUFraktion gibt es Gruppierungen, deren jeweiliger Vorsitzender Stimmrecht im Fraktionsvorstand hat. In diesen Gruppierungen sind auch die Vertriebenen und Flüchtlinge vertreten, zahlenmäßig sehr stark übrigens, deutlich stärker als die Arbeitnehmer. Auch stärker als in den zurückliegenden Legislaturperioden. Spätestens mit der Vertreibung der KosovoAlbaner ist vielen ins Bewußtsein gerückt: Das hat es ja auch bei uns gegeben. Und dann kommt man sehr schnell dahin, sich dafür einzusetzen, dass es so etwas nie wieder geben darf, weder bei uns noch sonst wo.

Die Fragen stellte FNPRedakteurin Sylvia Amanda Menzdorf


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Vertreibung ist ein unverjährbares Verbrechen

Resolution des BdVLandesverbandes RheinlandPfalz

Eingedenk der im Jahre 1950 verabschiedeten "Charta der Heimat" wiederholen wir als Heimatvertriebene das Gelöbnis, dass die Respektierung und Wahrung der Würde des Menschen mitsamt seinen Rechten unser höchstes Gebot sind. Auch das Recht auf die angestammte Heimat ist uns als von Gott gegeben heilig und unantastbar.

Wir Heimatvertriebenen fordern alle Staaten und Völker guten Willens dieser Welt auf, das Recht auf die angestammte Heimat als Grundrecht von Menschen und Volksgruppen zu wahren und Verstöße dagegen rigoros zu ahnden. Dabei darf es keinen Unterschied zwischen, Siegern und Besiegten geben, zumal wir aus tiefster christlicher Überzeugung jegliche Kollektivschuld oder Kollektivhaftung strikt ablehnen. Nach verbindlicher Rechtsauffassung der Vereinten Nationen ist jede Vertreibung ein unverjährbares Verbrechen gegen die Menschlichkeit und erfüllt den Tatbestand des Völkermordes Dieser ist als Delikt grundsätzlich zu ahnden und hat keinen Anspruch auf Nachsicht oder "Toleranz".
Wir Heimatvertriebenen fordern insbesondere die Europäische Union auf, es nicht bei der plakativen Deklaration zu belassen, Hüterin der Menschenrechte wie des Völkerrechts zu sein, sondern aktiv dafür Sorge zu tragen, dass jeder Mitgliedstaat ohne Ausnahme zur strikten Einhaltung und Durchsetzung der Menschenrechte "gezwungen" wird. Für alle Heimatvertriebenen in Europa und alle aus rassischen, religiösen und weltanschaulichen Gründen Verfolgten und ihres Eigentums beraubten Menschen ist es unerträglich, seit Jahrzehnten erfahren zu müssen, wie ihre elementaren Grund oder Menschenrechte auf dem Altar politischer Opportunität geopfert werden. Auch das Ignorieren und Nichtverfolgen von Menschenrechtsverletzungen durch eine Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland ist eine Verletzung der Menschenrechte, insbesondere der Würde der betroffenen Menschen.

W
ir fordern aus Respekt vor der Würde jedes einzelnen Menschen wie der Universalität der Menschenrechte wie des Völkerrechts die Europäische Union auf, bei den Verhandlungen über den Beitritt weiterer Staaten dafür Sorge zu tragen, dass alle Staaten vor Aufnahme in die EU als "Rechts und Wertegemeinschaft" ihre begangenen Verletzungen der Menschenrechte wie des Völkerrechts juristisch wie moralisch heilen. Insbesondere die Republiken Litauen, Polen und Tschechien sind unmißverständlich aufzufordern, alle menschenrechtswidrigen Ausweisungs und Enteignungsdekrete durch ihre Parlamente aufzuheben und für null und nichtig zu erklären. Dies bedeutet eine Restitution des willkürlich konfiszierten Eigentums wie eine adäquate Entschädigung. Aber nicht nur materielle Entschädigung in bezug auf Eigentumsdelikte ist zu leisten Viel gravierender sind die bisher völlig unberücksichtigten Schäden an Leib und Seele. Die Okkupation der deutschen Ostprovinzen wie der deutschen Siedlungsgebiete außerhalb der völkerrechtlich gültigen Grenzen des Deutschen Reiches ging mit einer unvorstellbar unmenschlichen Brutalität vor sich. Durch Mord, Vergewaltigung, Verschleppung und Zwangsarbeit verloren nahezu drei Millionen Menschen ihr Leben Ein Großteil dieser Delikte geschah nach der Kapitulation der Wehrmacht am 7. und 8. Mai 1945 und vollzog sich bis in das Jahr 1949 hinein. Auch hier fordert das Recht Sühne, Bestrafung der Täter und Verantwortlichen sowie Wiedergutmachung.

Wir Heimatvertriebenen lehnen aus tiefster christlich abendländischer Überzeugung jeglichen Gedanken an "Kollektivschuld" und "Kollektivhaftung" ab. Kein unschuldiges Kind darf ermordet, kein Mädchen vergewaltigt werden aus puren Rachegelüsten wegen anderweitig erlittenen Unrechts. Keine Volksgruppe darf, auch nicht von Siegern, willkürlich aus ihrer Heimat vertrieben sowie ihres Hab und Guts beraubt werden. Wären diese Gebote beachtet worden, viele Kriege ,nach 1945 wären ihres eigentlichen Motivs beraubt gewesen und hätten vermieden werden können.

Wir Heimatvertriebenen waren stets für "Europa", aber unser erhofftes "Europa" war stets ein Europa der Völker, des Selbstbestimmungsrechts, des Friedens und des Rechts. Wahrer Frieden kann aber nur eintreten, wenn sich alle Völker zum Prinzip von Wahrheit und Wahrhaftigkeit bekennen, die historische Wahrheit nicht manipuliert und unterdrückt wird, das Recht herrscht. Wir sind überzeugt von der alten Weisheit "justitia fiat pax", d. h., nur "Gerechtigkeit schafft Frieden".
Wir Heimatvertriebenen und Entrechteten fordern alle Menschen guten Willens auf, unseren Friedenswillen aktiv zu unterstützen und sich nicht auf "Verträge" zu verlassen, die elementare Menschenrechte einfach "ausklammern" und politbürokratisch "ad acta" legen. Nur wer die Menschenrechte reklamiert, fördert den Frieden unter den Völkern in Europa wie der Welt. Sie allein sind der Baustein für eine freiheitliche nachhaltige Entwicklung!

gez Dr. Wolfgang Thüne Landesvorsitzender

Diese Resolution wurde einstimmig verabschiedet von der Landesdelegiertenversammlung 2000 im Kurfürstlichen Schloß zu Mainz am Rhein.

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