Heimat Bote Nr. 36


Ostpreussische Sagen

Die Zeremonie des Bockheiligens soll noch lange in Preußen zur Verehrung und Versöhnung der alten Götter des Landes, obgleich sehr im geheimen, fortbestanden haben. Es kamen aus mehreren Dörfern die Bauer in einer Scheune zusammen. Dort wählten sie unter sich einen alten Mann zum Waidelotten (so hießen die alten heidnischen Priester). Dann machten sie in der Mitte der Scheune ein großes langes Feuer, und nun brachten die Männer einen Bock herbei, die Frauen aber Weizenmehl, welches genetet wurde. War dieses fertig, so setzte sich der Waidelotte auf einen erhöhten Sitz, von welchem er an die Versammelten eine Rede hielt, über die Urankunft des preußischen Volks und das Land, über dessen Heldentaten und Tugenden, über die Gebote der Götter, und was sie von den Menschen fordern. Dann führte er den Bock in die Mitte der Versammlung. legte seine Hände auf ihn, und rief alle die alten Götter nach der Reihe an. daß sie gnädig herabschauen wollten. Darauf fielen alle Anwesenden vor dem Waidelotten auf die Knie und beichteten ihm mit lauter Stimme ihre Sünden, mit welchen sie vermeinten, die Götter zum Zorn gereizt zu haben. Darauf stimmten sie einen Lobgesang der Götter an, faßten nun alle den Bock an, hoben ihn in die Höhe, und hielten ihn solange, bis der Lobgesang zu Ende war. Danach setzten sie den Bock auf die Erde, und der Waidelotte ermahnte nun das Volk, das Opfer mit tiefer Demut zu verrichten, und so, wie es von ihren Vorfahren auf sie gekommen, es auch auf ihre Nachkommen zu bringen.
Alsdann schlachtete er den Bock, fing das Blut in einer Schüssel auf und besprengte die Herumstehenden damit, gab auch jedem etwas davon in ein Gefäß, um es nachher dem Vieh zu trinken zu geben, welches dadurch gegen Krankheit beschützt wird. Darauf wurde der Bock in Stücke gehauen, welche auf Brettern über das Feuer gelegt wurden, um zu braten. Während des Bratens fielen alle wieder auf die Knie vor dem Waidelotten, der sie nun für die vorhin gebeichteten Sünden strafte, indem er sie schlug, an den Haaren riß und dergleichen mehr. Doch bald kehrte sich dies um, und sie fielen jetzt über den Waidelotten her, den sie ebenso rissen und schlugen. War dieses geschehen, so machten die Frauen aus dem mitgebrachten Mehl Kuchen. Diese werden aber nicht in einem Backofen gebacken, sondern sie geben sie den Männern, welche sich zu beiden Seiten des Feuers stellen und die Kuchen einander durch das Feuer so lange zuwerfen, bis sie gar sind. Zuletzt geht dann das Essen und Trinken los, welches den ganzen Tag und die folgende Nacht dauert.
Was von dem Mahle übrig bleibt, wird sorgfältig vergraben. Durch ein solches Opfer glauben sie die Götter sich besonders gnädig zu machen. Im Samland wird auf diese Weise eine Sau geheiligt oder geopfert, besonders, um dadurch reichen Fischfang zu erwerben. Diese Opfer werden übrigens alle sehr heimlich betrieben; und als einst zufällig ein Fremder dazugekommen, hat er nur mit vieler Not sein Leben retten können.


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