Heimat Bote Nr. 37


Aufregung um Großmutters Ehering!

Meine Großeltern Franz Albrecht und Berta Loesch wurden im August 1895 in Allenburg (Kreis Wehlau) getraut. In der Kirche war Großmutter getauft und konfirmiert worden wie alle ihre Familienmitglieder.

Danach begann ihr gemeinsamer Lebensweg in Großheidekrug, wo Großvater beheimatet war. Er war Zimmermann und viel unterwegs. Derweil war Großmutter fleißig und sparsam im Haus, zumal die Familie im Laufe der Jahre größer wurde.

Die erste Aufregung mit ihrem Ehering gab es bei der Hausarbeit. Einmal in der Woche wurde Brot gebacken im großen Backofen. Dann waren es gleich mehrere Brote; es mußte sich schon lohnen, den großen Backofen zu heizen.

An einem Backtag legte Oma nach getaner Arbeit die Hände in den Schoß und erschrak, weil ihr Ehering nicht mehr am Finger war. Die Aufregung war groß, und das Suchen hatte keinen Erfolg. Der Gedanke an den heißen Backofen machte alles noch schlimmer.

Doch Großmutters Glück fand sich an einem Tag in der Woche in einem Brotlaib. Der Ring war mitten im Brot und hatte seine Form behalten; so daß sie ihn wieder auf den Finger ziehen konnte.

Die zweite Aufregung um den verlorenen Ehering dauerte schon länger! Niemand suchte mehr, und Oma trauerte nur noch im stillen. Einmal im Jahr, das war vor Weihnachten, wurde bei uns ein Schwein geschlachtet. Das machte der kleine Fleischer Jost auf dem Hof. Großvater verschwand dann. Er ging meistens zum Haff und kam erst wieder, wenn alles ruhig war auf unserem Hof. Wenn der kleine Fleischer am toten Schwein arbeitete, dann war Opa dabei, und sie hatten sich viel zu erzählen. Die Großeltern hatten das Schwein immer gut gefüttert, denn es sollte fett und schwer sein, anders als heute. Das wurde dann fachmännisch begutachtet. Aber als es an einer Stelle im Schweinebauch metallisch glitzerte, und der Fleischer näher hinsah und den Ring fand, da verschlug es auch dem kleinen Fleischer Jost die Sprache.

Es war klar, das Schwein hatte Omas Ring mit dem Schweinefutter gefressen, aber rätselhaft war es, wie der Ring in den Schweinebauch kam und nicht durch die Verdauungsgänge ausgeschieden wurde Dieser Schlachttag war für die Großmutter ein Glückstag im wahrsten Sinne des Wortes.

Die dritte Aufregung mit dem Ring klingt unglaublich, aber ich habe es erlebt. In Großheidekrug waren fast alle Einwohner mit Eigentum Selbstversorger. Dazu gehörte die Arbeit im Stall, auf der Wiese und auf den Feldern.

Wir hatten unser Kartoffelfeld in Caporn. Im Frühjahr pflügte Opas Schwager Kulsch das Feld, und die Großeltern und Mutter pflanzten die Kartoffeln.

An solch einem Tag vermißte die Großmutter beim Pflanzen plötzlich ihren Ehering. Da brauchte keiner mehr zu suchen, denn der Pflug hatte die Kartoffeln zugedeckt. Oma war sehr traurig und Opa sehr wütend!

Im Herbst mußten wir Kinder bei der Kartoffelernte helfen. Schließlich gab es dafür Herbstferien. Ich gestehe, daß ich nicht so gerne aufs Feld ging, aber wir konnten damals nicht sagen: "Ich habe keinen Bock!"

Heute denke ich an den Spaß, den wir neben der Arbeit hatten. Großvater machte Kartoffelfeuer, und wir ließen die neuen Kartoffeln darin garen. Die schmeckten wunderbar! Nachmittags gab es eine bestimmte Zeit, da guckten wir immer in Richtung Heidekrug, weil wir auf den Bäcker Unruh warteten, der Brot und Kuchen in Caporn verkaufte. Dann rannten wir mit ein paar Dittchen zum Weg und kauften Bäckerkuchen.

Aber arbeiten mußten wir schon. Großvater und mein Bruder lockerten mit der Forke die Kartoffelstauden ("vorstechen" nannten wir das) und wir, Oma, Mutter und ich, scharrten die Kartoffeln raus.

Dabei passierte das Unglaubliche. Omas Ring war an einer Kartoffel angewachsen und wurde beim Anheben der Staude sichtbar. Ich weiß nicht mehr, wer den Ring zuerst entdeckte, aber an dem Tag hatten wir Goldgräberstimmung!

Die vierte und letzte Aufregung gehört zu unserem Schicksal 1945!

Wir hatten in Gotenhafen eine Wohnung zugewiesen bekommen. Aber die Front rückte so schnell näher, daß wir uns jeden Tag um einen Platz auf einem Schiff bemühten. Als ein Offizier hörte, daß wir aus Großheidekrug waren, sagte er: "Das kenne ich von meinen Fahrten durch den Seekanal. Ich nehme Sie mit, aber Sie müssen sofort kommen, denn wir laufen bald aus."

Was haben wir uns beeilt, um mit den Großeltern und den letzten Habseligkeiten das Schiff zu bekommen! Es war ein Handelsschiff mit großen Laderäumen, die mit Stroh ausgelegt waren. Darauf lagen die Flüchtlinge dicht beieinander.

Mit einem Geleitzug verließen wir Gotenhafen, Ziel unbekannt. Wir kamen in einen Sturm und waren Tage auf See. In der Bucht von Saßnitz ankerte dann das Schiff, weil der Geleitzug ein Lazarettschiff nach Swinemünde brachte.

Der Sturm hatte sich gelegt, und wir durften an Deck. Die Kreidefelsen von Rügen leuchteten bei hellem Mondschein. Ein Matrose spielte auf seiner Mundharmonika Heimatlieder. Man hätte den Krieg vergessen können, wenn es nicht Fliegeralarm gegeben hätte. Wir hörten das Dröhnen der Motoren. Später wurde der Himmel Richtung Swinemünde feuerrot. Am anderen Tag mußten wir mit unserem Gepäck an Deck. Wir mußten ausgeschifft werden, weil das Schiff ohne Geleitzug war. Da sahen wir erst, wie viele Flüchtlinge an Bord waren. Plötzlich rief meine Großmutter: "Mein Ring ist weg!" Großvater machte sofort eine Kehrtwende und kletterte durch die Luke in den Laderaum. Dort hat er das Stroh an unserer Liegestatt solange geschüttelt, bis es auf dem Metallboden unter dem Stroh klingelte. Großmutter konnte mit ihrem Ehering das Schiff verlassen. Für Großvater war das ein gutes Omen, denn er war sehr abergläubisch.

Von Saßnitz kamen wir mit dem Zug nach Schleswig.

Im August 1945 erlebten die Großeltern mit dem geretteten Ring ihre goIdene Hochzeit. 1955 konnten sie in Meinerzhagen ihre diamantene Hochzeit feiern. Nach 60 Ehejahren ließen sie sich in der Kirche segnen, und der Ring begleitete sie bis zum Lebensende.

Großmutters Ehering trage ich heute an einer goldenen Kette!

Ich widme diese Erinnerungen meinen Kindern als Teil unserer Familiengeschichte in Großheidekrug.


Lucia RießSchwilp


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