Heimat Bote Nr. 37


On's Seejer.

Die Geschichte von unserer Standuhr beginnt eigentlich schon mit der Aufzucht von zwei Ferkelchen in der Schweinebucht. Wie alle Wohnhäuser in Palmnicken, hatte auch unseres einen dazugehörigen, aus Ziegeln erbauten Stall, in dem Hühner, Schweine, Ziegen und alles mögliche an Viehzeug untergebracht werden konnte.

Wir mästeten jedes Jahr zwei Schweine. Da gab es den Kuchel, den Borg, den Eber oder die Sau. Den Unterschied, warum eins ´ne Sau war und das andere ein Kuchel, blieb uns Kindern verborgen. Es blieb eines der Geheimnisse unserer Kindheit, auch wenn wir wissen wollten, warum das eine Schwein geschnitten werden mußte und das andere nicht. Von den zwei Schweinen wurde eins geschlachtet und das andere an Fleischer Lemke verkauft. Wenn es dann so weit war, und das eine der Pochelchen im Spätherbst sein Leben lassen mußte, war es für meine Mutter eine kleine Tragödie. Das Tier war ihr sehr an's Herz gewachsen, und wenn der Fleischer Krause Bautz erschien und im Stall verschwand, verschwand Muttchen in die Küche und sang lautstark:

"Warum weinst du schöne Gärtnersfrau,

Weinst du um der Veilchen dunkelblau

Oder um die Rose, die du brichst?

Nein, nein um dieses alles wein ich nicht!"

Mit dem Gesang wollte sie das Quieken des Schweines übertönen. Zum Blutrühren mußte sie aber dann doch hinaus, da half alles nichts.

Von dem Erlös des verkauften Schweines wurde immer etwas angeschafft. Muttchen legte großen Wert auf gediegene Möbel, während mein Vater mehr vom guten Essen und Trinken hielt, was ja Leib und Seele zusammenhalten soll. Die Bixen hatte zwar mein Vater an, aber durchsetzen tat sich fast immer unser Muttchen. Ihr großer Wunsch war nun dieses Mal eine Standuhr anzuschaffen. Nachdem auch noch das Geld vom Vermieten unserer Wohnung an Sommergäste dazu gerechnet wurde, war das Geld zusammen, und es wurde nach längerer Diskussion beschlossen, nun endlich die gewünschte Uhr zu kaufen. Gesagt, getan. Sie war nicht nur schön anzusehen, sondern hatte auch einen angenehmen Schlag. Das heißt, wenn sie die volle oder halbe Stunde schlug, erklang ein dreifacher Gong. Sie war aber empfindlich wie eine Diva. Wenn sie nicht vollkommen in der Waage stand, ging das Uhrwerk nicht, doch der Gong schlug aber immer noch, wenn man die Zeiger drehte und die volle oder halbe Stunde einstellte. Sie konnte sogar 13 schlagen, je nachdem wie schnell man die Zeiger bewegte. Jede volle oder halbe Stunde erklang nun das Bimbam in unserer Wohnung, eine wahre Bereicherung für unsere Ohren, denn ein Radio kam erst später in's Haus.

Muttchen war glücklich und hatte viele Jahre ihre helle Freude an der Seejer bis zum Einzug der roten Armee im April 1945. Nachdem unter anderem das Klavier und die Couch aus der Wohnung geholt worden waren,( zapzarapp wurde es damals genannt) war abzusehen, daß als nächstes die Standuhr dran sein würde. Die sollten die Beestkraten aber nicht bekommen. Nie und nimmer! Es wurde überlegt, wie man das gute Stück retten konnte. Sie mußte aus der Wohnung entfernt werden, das war klar, aber wohin damit? Guter Rat war teuer, aber der Mensch kann noch so dammlich sein, er muß sich nur zu helfen wissen.

Einer von uns hatte die rettende Idee, auf den Holzschuppen mit ihr. Sie wurde also in Decken gewickelt, zum Schluß noch in eine Flickerdecke und dann auf den Boden vom Stall transportiert. Unter Brennholz und Gekrassel versteckt lag sie dort über ein Jahr, bis wir uns eine neue Bleibe suchen mußten.

Im Sommer 1946 mußten wir unsere Wohnung räumen, weil ein Kapitan sie für sich beanspruchte. Wir teilten nun das Schicksal mit vielen anderen Deutschen und mußten uns ein neues Asyl besorgen, was gar nicht so einfach war. Wir zogen zu Familie Mehr, die uns in ihre schon mit vielen Leuten überfüllte Wohnung auch noch aufnahm. Nun wurde auch die Uhr aus dem Stall geholt und kam dann in unserem neuen Zuhause wieder zu Ehren. Die Zeiten waren ruhiger geworden, und man mußte kaum noch Angst um sein Eigentum haben. Man konnte sie wieder ohne Sorge aufstellen. Mit der Seejer aber stimmte etwas nicht. Sie hatte wieder ihre Nicken. Entweder war sie kaputt, oder sie stand nicht in der Waage, jedenfalls sie ging nicht mehr. Doch wenn man dem Pendel einen Dulks gab, tickte sie so lange wie das Pendel hin und her schwang, und die Zeiger bewegten sich dann auch. Der Schlag war aber noch in Ordnung und klang so schön wie eh und je.

Ein knappes Jahr später, der erste Transport heim in´s Reich war schon mit etwa 120 Palmnickern abgefahren, begannen wir unsere uns noch verbliebenen Habe zu verkaufen, in der Hoffnung, auch bald die Ausreise zu bekommen. Bevor wir einen vermutlichen Käufer in die Wohnung ließen, wurde das Pendel angestoßen, damit die Uhr an's Laufen kam. Es fand sich dann auch sehr schnell ein Käufer und großer Bewunderer für unsere Seejer. Der russische Kapitan, der die Uhr kaufen wollte, war begeistert. Wenn die Uhr 12 oder auch 13 schlug, hörte er die Glocken vom Kreml, wie er uns sagte. Er saß dann ganz verzückt da und lauschte hingerissen dem Klang. Die Russen sind ja ein musikalisches Völkchen. Dieses gute Stück mußte er unbedingt haben. Wir handelten einen guten Preis aus, aber die Sache hatte einen Haken. Der Haken war der, er hatte nicht so viel Geld! Ein Schwein hatte er nicht zu verkaufen, also mußte auch er für die Seejer sparen. Angesichts seiner großen Bewunderung für die Uhr und seinem musikalischen Verständnis, durften wir keine Unmenschen sein. Er durfte also eine Anzahlung leisten, und wir wollten dann das begehrte Stück so lange für ihn aufheben, bis er die Summe zusammen hatte. Der Handel war also perfekt. Muttchen freute sich trotz aller Wehmut im Herzen, daß sie so einen großen Liebhaber für die Seejer gefunden hatte.

Der Kapitan erschien ab jetzt in unregelmäßigen Abständen in unserer Wohnung, um sich von der Existenz seines Kaufobjektes zu überzeugen. Das ging dann so vor sich. Es klingelte an der Tür, die immer abgeschlossen war. Einer von uns Bewohnern schaute durch das Küchenfenster auf die Treppe, um zu sehen wer da draußen stand und verkündete: "Der Kapitan!". Dann rannten wir schnell in's Zimmer, stießen das Pendel an, stellten die Zeiger und ließen ihn dann ein. Er setzte sich, wir ließen die Glocken vom Kreml läuten und unterhielten uns so gut wie es möglich war mit ihm. Er konnte kaum deutsch und wir nicht viel russisch. Zum Glück ging er aber immer wieder so rechtzeitig, noch bevor die Seejer zum Stillstand kam.

Nun hatte meine Mutter Geburtstag, und da es ein Sonntag war, wurde auch ein bißchen gefeiert. Es wurden Plietschkes gebacken, und es gab sogar Bohnenkaffee, gekauft auf dem Schwarzmarkt hinter dem Hotel "Glück Auf".

Wir saßen am Kaffeetisch, es klingelte, und wer stand draußen? Der Kapitan! Wir beschlossen, heute kommt er nicht rein! Nach sicher einer Stunde, wenn nicht länger, ging unser erster Besucher, und wer saß im Garten unter dem Küchenfenster auf der Bank? Unser Kapitan! Er lächelte freundlich und wollte natürlich die Glocken vom Kreml hören. Jetzt aber dalli, dalli, einer peeste zur Uhr, und bis er im Zimmer war, ging alles seinen Gang. Wir entschuldigten uns und erklärten ihm, warum wir ihn nicht eingelassen hatten. Er hatte großes Verständnis, erfreute sich an der Uhr und zog zufrieden davon.

Eines Tages hatte er aber das nötige Geld zusammen und holte die Uhr ab. Muttchen mußte Abschied nehmen von dem Traum ihrer jungen Jahre, für den sie sich so abgerackert hatte. Wir haben nie wieder etwas von dem Kapitan gehört. Hätten doch zu gerne gewußt, ob und wie er die Uhr an's Laufen bekommen hat. Vielleicht betätigt er bis heute noch das Uhrwerk mit dem Pendel?


Nu mot eck tom End kome, de Seejer schloj grod tijje, on eck mot enne Pose.

Es grüßt Euch Eure Hanni Lenczewski


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