Heimat Bote Nr. 38


Das Haff
Erinnerungen eines Zehnjährigen

Nach meinem Besuch im Jahr 2001 habe ich festgestellt, daß ich auf meinem Videofilm immer wieder mit Ausdauer das Haff gefilmt habe. Sommer wie Winter war das Haff ein Magnet für mich. An unsere "Lomme" (Lomm) erinnere ich mich sehr gut, ein Klinkerboot, Bug und Heck spitz, Fock- und Großmast mit braunen Stützsegeln. Lommen hatten große Ähnlichkeit mit den Kurenkähnen. Bug und Heck waren aber nicht so stark angehoben.
Nicht nur bei der Ernte wollte ich dabei sein, sondern auch bei der Fischerei. Ich weiß nicht, wer die Idee hatte, daß ich sogar eine Nachtfischerei mitmachen durfte. Netze raus, Netze rein, zappelnde Fische, rudern, segeln und staaken, mehr habe ich da-mals nicht von der Fischerei mitbekommen. Ich habe auch bald aufgegeben und verbrachte den Rest der Nacht im "Roof", einem kleinen geschlossenen Raum im Bug der Lomme, auf Tauwerk und nicht gut riechendem Ölzeug voller Fischschuppen.
In dieser Nacht erzählte mir mein Vater auch sein Erlebnis mit dem Kalb, das ging so: "Es wurde schon dunkel auf dem Haff, als in der Stille eine Stimme rief: "eck schmiit"! Wir bekamen zunächst einen großen Schreck und schauten uns erschrocken um. Kein Boot in der Nähe und auch sonst nichts zu sehen. Ich, (mein durch nichts zu erschütternder Vater) "Na denn schmiit doch"! Rums, flog ein verwestes Kalb in das Boot. Es roch so furchtbar, daß wir schnell zupackten und es wieder ins Wasser zurückwarfen.
Am nächsten Morgen, als es langsam schummerig wurde, wunderten wir uns über das Blinken und Glitzern an der Bordwand. Es waren nur ein paar spärliche Borsten, die bei dem Zurückwerfen des Kalbes am Boot hängen geblieben waren. Sie waren aus reinem Gold. Wir sind dann sofort zu der Stelle zurückgefahren und haben den halben Tag nach dem Kalb gefischt, aber nichts mehr gefunden. Hätten wir es bloß nicht so schnell zurück geworfen, dann wären wir heute steinreich".
Noch "ein Erlebnis" meines Vaters: "Eines Morgens segelte ich mit meinem Partner dicht am Schilfgürtel der Küste in Richtung Königsberg. So kurz hinter Kaporn, es war noch schummerig, ruft plötzlich von Land eine Stimme: "Nemm mie mett"! Zunächst schauten wir uns ganz verdutzt an, und riefen im Weitersegeln aber fröhlich zurück "na wenn dü wellst denn komm mett".
Wir setzten unsere Unterhaltung fort und dachten darüber nicht weiter nach, als wir auf dem Wasser Schritte platschen hörten und jemand auf das kleine Deck im Vorschiff stieg. Wir mußten uns ducken, weil wir wegen der Segel nichts sehen konnten. Mir fiel vor schreck die Tabakpfeife aus dem Mund. Da stand doch tatsächlich einer mit einem Menschenfuß und einem Pferdefuß. Mehr konnten wir nicht sehen. Leicht erstarrt segelten wir weiter und mochten nicht noch einmal hinschauen ".
Na ja, und dann, fragte ich weiter. "Ja als wir dann in unserem Fischgebiet waren, da war er weg". Solche und ähnliche Geschichten erzählten uns Eltern und Großeltern besonders an langen Winterabenden. Aber nein, sie erzählten sie uns nicht, sondern unterhielten sich darüber, wenn wir mithören konnten.
Bei ruhigem Wetter durfte ich auch rudern, aber wenn ich nicht voran kam, nahm mein Vater eine etwa vier bis fünf Meter lange Staakstange und schob (staakte) mit. Das Haff war sehr flach. Die größte Wassertiefe, die ich auf einer alten Seekarte gefunden habe, lag bei etwa 3,80 Meter. Als ich 1963 zum Wasserzoll (später die "Küstenwache") kam, hatte ich viele Kollegen, die bei der Marine oder auch Handelsmarine waren. Besonders mit Hans Schwedopp aus Cranz, aber auch einem Handelskapitän aus Mecklenburg, habe ich mich oft unterhalten. Sie waren sicher, daß es eine Stelle im Haff gab, die 6 Meter Tief war.
Für alle diese Seeleute waren der Leuchtturm Brüsterort (Mys Taran und der Peyser Bulle (Kursänderungstonne im Seekanal) ein Begriff. Wie oft habe ich, damals noch als Bootsmann, mir die Entfernung von Kiel nach Pillau abgesteckt (ausgemessen). Es sind ca. 400 Seemeilen. Wir hätten damals, während einer üblichen 12 Stunden Streife mit dem Zollkreuzer "Schleswig Holstein", der mit aller Kraft seine 32 Knoten machte, Pillau erreichen können.
Meine älteste Erinnerung an das Haff. Ich war am Hafen, und ich glaube, es war mein jüngerer Cousin Klaus Schütt, der bei dem Herumklettern in den Booten, an der Ostseite (Deppen) des Hafens, ins Wasser gefallen war. Ich wollte ihm heraus helfen und lag dann neben ihm im Hafen. Wir konnten uns aber an der Bordwand festhalten und schrien fürchterlich. Wer hat uns da wohl raus geholt?
Aber auch solch ein Erlebnis machte uns nicht ängstlich. Ich konnte gerade "Hundepaddeln", als wir mit anderen Kindern an der schrägen Naturstein gemauerten Hafenmauer beim Anleger an der Ostseite des Hafens, bis auf die etwa 30 Zentimeter breite Pfahlkante herunter rutschten. Von dort sprangen wir ins Wasser und wollten unter den Anleger durch schwimmen und an der anderen Seite wieder auf die Pfahlkante klettern.
Ich weiß nicht, ob mich die gruseligen Pfähle des Anlegers verunsichert haben, oder bin ich nur so aus dem Takt gekommen? Ich strampelte wild und fing zu schreien an. Doch dabei erwischte ich doch noch die Pfahlkante und konnte mich selbst retten. Die anderen Freunde hatten es wohl nicht so schnell begriffen und meinten, du hast doch nur Spaß gemacht. "Na klar". Ich beschloß aber erst mal nach Hause zu gehen, und habe dann den Badestrand und das kleine Haff erkundet, um richtig schwimmen zu lernen.
Einmal war ich mit meinen Eltern im kleinen Haff baden und war sehr stolz auf meinen Vater, weil er mit mir auf seinem Rücken schwimmen konnte. Später habe ich darüber nachgedacht, wie kann man es schaffen mit einem etwa 5-jährigen auf dem Rücken zu schwimmen? Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, er hat echt beschummelt. Er hat garantiert, zumindest mit den Füßen, Grund gehabt. Der Schilfgürtel besonders zwischen Hafen bzw. Entwässerungsgraben und Bade-strand hat mich immer besonders fasziniert. Einen Meter weit rein, und man war nicht mehr zu sehen. So stellte man sich als Kind Dschungel vor.
Wie toll war es aber, als im Spätsommer 44 nach einem fürchterlichen Sturm, in der Nähe des Entwässerungskanals, ein leck geschlagenes Boot antrieb. Wir, meine Cousins Manfred Schütt, Heinz Holstein und mein Spielfreund Willi Mollenhauer, haben es schnell mit Hilfe eines Erwachsenen(?) notdürftig abgedichtet, ausgeschöpft und dann in den Schilfgürtel gezogen. Es war ein tolles Versteck. Hoffentlich vermißte der Besitzer es nicht. Wir hatten allerdings noch keine Riemen und staakten daher nur in der Nähe des Schilfgürtels herum. Was hätten wir im Sommer 45 für Freude daran gehabt, denn wir waren sicher bis dahin auch ein paar Riemen zu haben!
Soweit ich mich erinnere, bin ich nur einmal auf dem "Damm" in der Nähe der Durchfahrt gewesen. Es war Sommer, herrliches Wetter und Windstille. Als Kind hat man im Allgemeinen doch nicht auf Vogelgezwitscher geachtet. Aber diese herrliche Stille, das Zwitschern vieler Vogelstimmen und der Duft der blühenden Wildrosen sind mir ewig im Gedächtnis geblieben. Es wäre einer meiner Lieblingsplätze geworden, wären wir zu Hause geblieben. Zu gerne hätte ich mir, bei meinem einzigen Besuch 2001, ein Boot geliehen und wäre einmal hinüber gerudert.
War es nicht auch herrlich an unserem Badestrand am "Deppen", der schöne weiße Sand, die Umkleidekabinen (mit Astlöchern) und das Strandgras? Wenn man hier ins Wasser ging, war es nicht so glitschig wie am "kleinen Haff". Unsere Badeutensilien waren Bretter, ein Stück Holz, oder was man sonst noch am Strand fand. Wer einen schwarzen Autoreifen (Pneu) besaß, wurde beneidet. Wie das Wasser weg zog, wenn große Schiffe vorbei fuhren und mit den Wellen wieder zurück kam! Dann hielt uns nichts mehr im warmen Sand, hinein in die Fluten.
Wenn es dann nach Hause ging, kamen wir bei "Linke Lieske" vorbei, und wer dann noch "eene Dittke had" konnte sich noch ein Eis kaufen. Erinnert ihr euch noch an das Männchen, das auf dem Tresen stand? Es nickte dauernd mit dem Kopf, und wenn sich der Kopf nach vorn neigte, rutschte die Zunge auf die Eistüte, die es in der Hand hielt. Später hatten sie eine Eisbude direkt an die Straße gesetzt. Feiertags und an Sonntagen war dies ein beliebter Treffpunkt der Dorfjugend. Wenn mein Großvater hier vorbei ging ärgerte er sich. "Häwe dee nuscht to doone? Wenn eck se schon emmer stoane seeh". Für ihn gab es keine Freizeit, er hatte auch an Sonntagen immer zu tun..

Helmut Holstein


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