Heimat Bote Nr. 39


Heimat

Mit der neuerdings wieder so hoch gehaltenen Heimatliebe kann ich nicht viel anfangen, vor allem, wenn sie sich in einem eher dumpfen Gefühl und in kitschiger Heimattümelei äußert. Ich tue mich ehrlich schwer damit, allein schon deswegen, weil ich persönlich nicht viel Gelegenheit hatte, Heimatgefühle zu entwickeln.
Wenn ich überhaupt irgendwo Heimatgefühle entwickelt habe, dann nicht an den Orten meiner Kindheit, sondern hier in SchleswigHolstein Und das war ein hartes Stück Arbeit! Denn natürlich steckt in mir ein bißchen Rheinländer. Und als ich zum ersten Mal hier her kam, da gab es keine Weinlokale, man kannte nur Rot und Weißweine, unterteilt in süß und sauer.
Ich war im ersten Moment geschockt und dachte, hier hältst du es nicht lange aus. Nun bin ich schon seit dreißig Jahren im Land und finde es inzwischen sogar sehr schön, nicht zuletzt deswegen, weil mittlerweile auch im Norden ein guter Wein ausgeschenkt wird.
Ich kann nachvollziehen, daß das Gefühl regionaler Zugehörigkeit in einem größer und unübersichtlicher werdenden Europa an Bedeutung gewinnt. Aber dieses Heimatgefühl aus dem Musikantenstadl und den Volksmusiksendungen? Nun gut, viele Menschen mögen das, und deswegen wird es der Verkäufer am Heimatstand verkraften können, wenn ich daran vorbeigehe.
Einen großen Bogen mache ich auch um die professionelle Heimatliebe der Vertriebenenverbände. Ich finde es seltsam, daß sogar die Kinder und Kindeskinder der Vertriebenen für diese Form der Heimatliebe in Anspruch genommen werden. Oft genug haben sie das Herkunftsland ihrer Eltern noch nie gesehen, haben jedenfalls dort nie gelebt. Daß diese Heimatvertriebenen der zweiten und dritten Generation, die in Bayern oder SchleswigHolstein oder wo auch immer in Westdeutschland geboren sind, angeblich Tag und Nacht an ihre Heimat denken sollen, das ist für mich - milde ausgedrückt - unglaubwürdig.
Dabei verstehe ich durchaus, daß die Kinder die Heimat ihrer Eltern auch einmal kennenlernen und besuchen möchten. Das kann, wenn es taktvoll gemacht wird, auch zur Versöhnung beitragen. Es gehört aber eine eindeutige Aussage dazu, daß es keinerlei Revisionsansprüche mehr gibt. Dann wird es zur Versöhnung und zu einem selbstverständlichen, grenzüberschreitenden Zusammenleben zwischen Deutschen und Polen, zwischen Deutschen und Tschechen kommen.
Anderswo war das doch auch möglich. Wer zum Beispiel weiß heute noch, warum Deutsche und Franzosen einmal Erbfeinde waren?
Ich erwarte überdies Verständnis für die Menschen, die heute in den ehemals deutschen Gebieten wohnen und die die Vertriebenenverbände im Lande des mächtiger werdenden Nachbarn mißtrauisch beobachten. Jahrelang haben es Landsmannschaften geschafft, den deutschtschechischen Verständigungsprozeß zu behindern.
Das ist, so denke ich, ein politischer Anachronismus im zusammenwachsenden Europa, der nur deswegen noch eine Rolle spielt, weil die derzeitige Bundesregierung (es war zu Zeiten der Kohlregierung) aus wahltaktischem Opportunismus von diesem politischen Ladenhüter nicht lassen wollte.

Mit freundlicher Genehmigung zum Abdruck entnommen dem Buch:
"Kein Blatt vor dem Mund" von Heidi Simonis



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