Heimat Bote Nr. 41


Verhältnis Russen und Deutsche

Es wird immer wieder von "Die Russen" und "Die Deutschen" gesprochen, aber ich habe mich entschieden, den Menschen als Individuum zu betrachten und komme seitdem zu anderen Er-gebnissen als vor dreißig Jahren.

In der Sonderausgabe Heimat Bote Nr. 40 hat Gerhard Kosemund über seinen Besuch in Großheidekrug recht positiv berichtet, besonders über das gute Verhältnis zu den jetzigen Bewohnern und weiteren Kontakten. Wenn es denn alles so offen und freimütig zugegangen ist, hätte ich tausend Fragen gehabt. Wie man beispielsweise darüber denkt, dass die Gedenktafel am neuen Friedhof gewaltsam entfernt wurde, die ja auch die russischen Opfer würdigte? Oder wie denkt man über das Rogge-Haus, die geplante deutsch-russische Begegnungsstätte in Großheidekrug, in die einige Samländer bzw. Großheidekrüger viel Geld investiert hatten? Oder warum wurden die vielen Häuser und die Kirche abgerissen, die nach dem Einmarsch der Russen noch standen? Oder was empfindet ihr dabei, daß auf dem alten deutschem Friedhof ein Geschäft gebaut wurde? In politischer Hinsicht habe ich das Gefühl, daß seitens der Vertriebenen die Hand in fast anbiedernder Weise ausgestreckt aber meist wieder ausgeschlagen wird.
Im Heimatboten wurde auch ein Bericht einer jetzigen Einwohnerin von Großheidekrug veröffentlicht, bei dem ich an das Leiden der Petersburger Bevölkerung denken mußte. Wer von uns Großheidekrügern ist nicht betroffen, wenn er an das Leid dieser Menschen denkt? Man sollte nicht immer aufrechnen, doch hier muß ich bemerken dürfen, daß sich Russland ausgiebig an der ostdeutschen Bevölkerung in mindestens gleicher Weise gerächt hat. Keiner weiß das so gut wie wir.
Ich habe wohlbedacht das Wort Russland gewählt. Ich frage mich, was hat das mit dem russischen Menschen zu tun? Russen sind einzelne Personen wie du und ich. Es gibt Russen und Deutsche, die in Frieden leben wollten, Russen und Deutsche, die Gefühl haben oder andere, die roh und herzlos sind. Wenn ich sachlich betrachtet für meinen Vater ein nicht Verschulden an dem Regime und seinen Folgen beanspruchen will, muß ich dieses auch einem Russen zugestehen! Nur sind Verbrecher in der deutschen Bevölkerung grundsätzlich verurteilt und bestraft worden. In Russland aber wurden die bestraft, die versuchten die russischen Verbrechen zu publizieren (s. Kopelev bis Solschenitzin). Aber auch das kann ich nicht der russischen Bevölkerung, also einer Person vorhalten. Ferner muß ich dazu sagen, dass ich von einzelnen Russen mehr Verständnis erfahren habe als von unseren deutschen Mitbürgern. Unter anderem meinte ein interessierter russischer Bürger und sein Sohn sich dafür entschuldigen zu müssen, was russische Soldaten uns an Leid zugefügt haben. Ich war in dem Moment so sprachlos und gerührt, dass ich nichts darauf antworten konnte. Erst später mußte ich mich für meine Sprachlosigkeit entschuldigen und habe ihm gesagt: "Dann entschuldige ich mich auch dafür was deutsche Soldaten den Russen angetan haben". Sicher hat sie das Schicksal der Personen, nicht der "Deutschen", so berührt. Von deutschen Mitbürgern habe ich nicht soviel Verständnis erfahren.
Ja, auch ich habe mich mit der Vertreibung aus unserem schönen Ostpreußen bis heute nicht abgefunden. Nichts hatte ich mir sehnlicher gewünscht, als dass es wieder zu Deutschland gehörte. Meine letzte Hoffnung für eine Normalisierung war ein vereintes Europa. Trotzt aller Verbitterung habe ich keine revanchistischen Gedanken, die man mir zu gerne unterstellen würde. Ich bin immer davon überzeugt gewesen, daß ich den Menschen, die jetzt dort leben und geboren sind, nicht das gleiche Leid zumuten könnte, das wir durchgemacht haben. Wie das gehen sollte? Ich glaube es würde einen Weg geben, doch noch gab es keinen Anlass darüber nachzudenken.

Helmut Holstein.




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