Heimat Bote Nr. 41


Heide-Maulen

Wenn man von Widitten Richtung Leuchtturm übers Haff sah, konnte man bei guter Sicht das Städtchen Brandenburg am anderen Ufer sehen. Die Luftlinie betrug dorthin nur ca 10 Kilometer. Einige Kilometer von Brandenburg in Richtung Königsberg lag am Haffufer das Dörfchen Heide-Maulen. Hier hatte man im Krieg in einem Kiesgrubengelände eine Flakbatterie zum Schutz von Königsberg angelegt. In dieser Batterie verbrachte ich fast ein Jahr meiner Schulzeit als Luftwaffenhelfer. Wenn ich Wachdienst hatte und mit einem Super-Fernglas, das auf einem Gestell montiert war, den Luftraum nach einzelnen Feindmaschinen absuchen sollte, habe ich öfter nach Widitten hinübergesehen. Das Zeiß-Glas war so ausgezeichnet, daß ich klar unseren Hausgiebel in elf Kilometer Entfernung erkennen konnte und sah, ob meine Mutter das Fenster des "Fremdenzimmers" geöffnet hatte. Das gab mir das Gefühl, eine Verbindung zum Elternhaus zu haben.
Meine Klassenkameraden, fast alles Königsberger, vermißten in dem abgelegenen Heide-Maulen die Abwechslungen des Stadtlebens. Bis zur nächsten Straßenbahn mußte man einige Kilometer laufen, und von aufregenden Ereignissen in der Batterie wurden wir Gott sei Dank bis zum Herbst 1944 verschont. So blieb es nicht aus, daß wir 17jährige auf mancherlei dumme Gedanken verfielen, um uns Abwechslung zu verschaffen. Einer dieser Einfälle von uns unausgelasteten Jugendlichen war folgender:
Wir entwarfen gemeinsam einen Brief an ein unbekanntes Mädchen, in dem wir ergreifend unsere Verlassenheit und Einsamkeit schilderten, die wir bei unserer aufopfernden Pflichterfüllung in Heide-Maulen erdulden mußten. Rettung vor Schwermut konnte nur von einer liebenden Seele kommen, die an uns dachte und an uns schrieb.
Jetzt mußte jeder von uns die Adresse eines Mädchens im passenden Alter auf einen Zettel schreiben. Die Adressen wurden verlost. Jeder von uns schrieb den Einheits-Brief ab. Der Clou bei der Sache war, daß der erste Antwortbrief des Mädchens öffentlich verlesen werden mußte. Nur gut, daß das die Mädchen nicht wußten! Was hatten wir in den nächsten Tagen für einen Spaß! Ausgerechnet der Unbedarfteste aus unserer Runde bekam den wütenden Brief eines Vaters, der sich energisch jeden Annäherungsversuch an seine Tochter verbat und mit einer Anzeige drohte. Mein Beitrag zu dem Spiel war die Adresse eines Mädchens aus Großheidekrug, die ich aus dem Kairis-Bus nach Königsberg kannte. Diese Adresse zog unser Klassen-Primus Gerd. Die Antwort auf seinen Brief bereitete uns größtes Vergnügen. Vermutlich hatte Anneliese unser Spiel durchschaut und spielte das doofe Mädchen vom Dorf. In einem schauderhaften Deutsch, gespickt mit Rechtschreibfehlern, schlug sie auf die ,,Anmache" zurück. Welche Schadenfreude, daß unser Bester an so etwas geraten war! Aber Gerd ging auf das Spiel ein, und es entwickelte sich daraus ein reger Briefwechsel. Genaueres weiß ich nicht, weil nur die erste Antwort verlesen werden mußte.
Mit meiner "Trösterin" Irmgard habe ich etliche Briefe gewechselt und lange Zeit ihr Foto bei mir getragen, aber getroffen habe ich sie nie. Schüchtern wie ich als Junge vom Dorf damals war, hatte ich vor einer Begegnung Angst. Was sollte man bloß so mit einem Mädchen anfangen?

Hellmut Hanemann, (früher Widitten)





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