Heimat Bote Nr. 41


Bällchenfangen mit Helga

Das Frühjahr fing bei uns zu Haus mit dem Großreinemachen an, aber vorher kam noch zu Hause der Kampf um die Wadenstrümpfe, die ich unbedingt tragen wollte. Jeder in der Klasse wollte der Erste sein, und ich wollte dazu gehören, was Muttchen zu verhindern wußte. "Kind du warscht di noch verkille", sagte sie immer. Und dasselbe bekam ich zu hören, wenn es um das erste Bad in der kalten Ostsee ging. Dafür fiel sie mit dem "Nasch in die Wirtschaft", wie sie sagte, und wir hatten für's erste keine ruhige Minute in der Wohnung. Es wurden nicht nur alle Winkel saubergemacht, die Matratzen gelüftet und was noch alles dazu gehörte, auch die Bettwäsche, die sich angesammelt hatte, wurde gewaschen. Was für eine Arbeit damals. Für das Gröbste wurde der STURGELL in Bewegung gesetzt. Ein Instrument, das man schlecht beschreiben kann. Es war so eine Art Stampfer mit Wasserdruck. Jedenfalls mußte ich die Wäsche in der Zinkwanne sturgeln. Um die Aprilfrische reinzubekommen, zog Muttchen mit ihr zum Trocknen auf den Seeberg, und ich mußte helfen. Da half kein Gnoddern.

Mit Wäschekorb, der auf den Handwagen gestellt wurde, Wäscheleine und den Stützstangen ging es ab trimo. Die Wäsche wehte kräftig in dem Seewind, und ich mußte aufpassen, daß die Stützstangen vom Sturm nicht auf die Erde fielen, und die schönen, "klaren" Stücke im Sand landeten. Da neben dem Wäscheplatz gleich die Rolle war, wurde die ganze Wäsche anschließend sofort gemangelt. "Komm hilf mir mal die Rolle drehn", heißt es so schön in einem alten Schlager, und ich mußte ran und das Ding einschwunken. Die anderen fleißigen Waschfrauen saßen dann auch schon in der Rolle auf der Bank, plachanderten, strickten am Strumpf und warteten, bis sie an der Reihe waren. Natürlich warfen sie auf die Wäsche der Nachbarin einen scharfen Blick und wehe, sie war gries, dann wurde drüber herzogen und die vielen Flicker, nee Frues, so richtij tosammegeprunt!

Aber auch das ging vorüber, und der Sommer zog ein mit Blütenduft, der von den Fliederbüschen und blühenden Obstbäumen über dem ganzen Dorf hing und dem stark duftenden Jasmin im Park an der Liebeslaube. Dazu das Gequake der Poggen im Teich hinter dem Sportplatz und später noch der Duft von den viele Lindenblüten an den Straßen.
Von der Lucht wurde der Ball geholt, der meistens nach dem langen Winter ein Flunsch' also ganz pluddrich, geworden war. Es war nicht ganz einfach, einen neuen zu bekommen, man mußte die Verwandtschaft schon mit der Jankerei nerven, bis die Dittchen für einen schönen, möglichst großen Ball zusammen geprachert waren. Aber nun hatten wir einen Ball und spielten auf dem Schulhof Völkerball, oder wir Marjellens Fangen an der Wand der Turnhalle oder zu zweit uns gegenüber. Da gab es viele Variationen. Koppche, Betche, Knieche, Brustche usw., aber die Krönung des ganzen war das sogenannte "Arschloch hoch, Amerika!" Es war nicht politisch gemeint, sondern war eine Kürübung mit höchstem Schwierigkeitsgrad, bei der der Ball durch die Beine über den gebeugten Rücken an die Wand geworfen, aber auch noch gefangen werden mußte.

An einem schönen Sommertag wartete ich zu Haus auf dem Hof auf meine Freundin Helga, die mit mir in einem Haus wohnte und wollte mit ihr Ballchen fangen. Endlich kam sie die Treppe runter gesprungen und auf meine Frage: "Kommst fangen?" antwortete sie: "Nee, ich muß zum Bäcker Dunkel ein Brühbrot kaufen". Ich ließ nicht locker und konnte sie bedeiweln, nur mal eben eine Übung durchzuspielen. Es mußte ja alles schnell gehen, und mangels einer Tasche steckte sie das lose Geld in den Mund. Der Mensch kann noch so dammlich sein, er muß sich nur zu helfen wissen, und nun ging es richtig los, die ganze Kürübung runter, Knieche, Faustche und so weiter bis zum Koppche, Koppche und noch einmal Koppche. Helga war richtig in Schwung gekommen und nicht mehr zu bremsen. Bis zum "Amerika" kam sie aber nicht mehr, denn es folgte ein entsetzter Aufschrei: "Ich hab das Geld verschluckt!" Was nu?, Helga stand da wie belämmert, fing an zu plinsen, und wir malten uns aus, was für Folgen es haben könnte mit dem verschluckten Geld. Es war auch kupfernes dabei, was ja Grünspan ansetzen und eine Vergiftung auslösen konnte oder eine Blinddarmentzündung oder Verstopfung. Oh Herrgott ne, ne, wat et nich allet so jivt. Sie war das einzige Kind der Familie und nu sowas!

Sie deerte sich nich nach oben, es nützte aber alles nichts, Helga mußte rauf und ihrer Mutter den Unfall beichten. Ich wartete an der Treppe gespannt auf die Reaktion, kriegt sie nun eine getakelt oder nicht? Es blieb aber ruhig, kein Gebrasch zu hören, nur Helga kam wieder zum Vorschein, mußte in die Apotheke laufen und was wohl holen? Natürlich Rizinusoel, denn von nuscht kommt nuscht. Ich ging aus Gefälligkeit mit, denn vor dem Apotheker Sager hatten wir Kinder höllischen Respekt. Er war ein uns Kindern nicht wohl gesonnener Mensch, wurden wir doch ab und zu, als wir noch klein waren, zu ihm geschickt, um für einen Dittchen kleine Provisorchen zu kaufen. Provisor nannte man früher auch den Apotheker. Das nahm er übel, er verstand keinen Spaß und jagte uns mit Gebrüll aus der Apotheke, aber auch die Erwachsenen konnte er ganz schön anraunzen, ohne daß sie Provisorchen verlangten.
Am anderen Tag fehlte Helga aus verständlichen Gründen in der Schule, was ja weiter nicht schlimm war, und schwere Folgen hatte der kleine Unfall dann auch nicht.

Es wurde dann wie immer ein sehr schöner Sommer mit Sonne, Sand und Wasser in dem Paradies unserer Kindheit an der Bernsteinküste.

Hanni Lenczewski





Zurück
zum Seitenanfang

Zurück
zum Inhalt Nr. 41