Heimat Bote Nr. 42
Palmnicker Geschichten

Winterfreuden.

Der erste Schnee wurde mit Sehnsucht erwartet und kam manchmal schon im November. Wir holten die Schlitten von der Lucht und dann ging es mit Vergnügen auf die Rodelbahn. In unserer Nähe gab es zwei, eine ging von der Lindenstraße am Bernsteinhäuschen ab hinunter durch den Park bis zur See, aber nur mit Bommelschlitten, sonst kam man nicht soweit, und die andere Bahn ging vom Haus Groter Spitz, über den Erich Koch Platz, auch bis zur See. Jede hatte so ihre Tücken. Bei der ersten, genannt "Am Baumgarten", konnte man bei der Abfahrt schon gleich am Parkanfang scheitern, denn da stand am Weg ein riesiger Baum, dessen eine Wurzel auf die Fahrbahn reichte. An dieser Stelle mußte man umlenken, oder man kippte um. Den Bommelschlitten durfte nur einer lenken, der viel Kraft hatte, und man war stolz, wenn man selbst einmal steuern durfte.

Abends kamen auch die Erwachsenen zum Rodeln, und wir Kinder freuten uns drauf mit ihnen Schlittchenfahren zu dürfen. An dieser besagten gefährlichen Stelle kippte dann auch Onkel Max mit dem Bommelschlitten und uns um und zerriß sich seine gute "Briescheshose".
"Wat ward de Mutter to Hus sägge?", war seine Frage. Er hielt sich den Winkelhaken mit der Hand zu und zog mit Tochter Ulla bedripst nach Hause. "Wie ein beseichter Pudel", sagte meine Mutter immer, wenn sie dieses Ereignis erzählte. Sie drückte sich damit nicht so ganz vornehm aus.
Uns allen, die hier mal gerodelt haben, und mit denen ich wieder in der alten Heimat war, ist diese Wurzel auf der Rodelbahn im Gedächtnis geblieben. Es ist doch schon seltsam, was einem so an Kleinigkeiten haften bleibt. Leider steht der große Baum nicht mehr, und der Weg zur See ist zugewachsen mit Gestrüpp. Man kann sich nur an Hand der alten Bäume orientieren, die noch immer dort stehen, wo der frühere Weg einmal gewesen ist.

Ob die Russenkinder nicht rodeln?

Die andere Rodelbahn am Koch Platz war ein bisschen gefährlicher. Unten, wo man ein schönes Tempo drauf hatte, machte der Bach einen Bogen und floß neben der Rodelbahn her. Ich habe Bach geschrieben, wir sagten aber Fluß, Fließ oder Kraxte. Wir wohnten in der Nähe dieser Bahn, und an einem kalten Wintermorgen waren wir ihrer drei unterwegs und wollten vor Schulbeginn noch schnell auf der völlig vereisten Bahn einmal runterrodeln. Es fing harmlos an, aber dann peeste der Schlitten mit uns ab, kam in's krängeln und war nicht mehr zu bremsen. So landeten wir dann alle drei in dem Fließ, schön nebeneinander. Ulla hatte einen schweren Schlitten aus Eichenholz, den ließ sie im Fließ stehen, weil sie ihn nicht aus dem Wasser bekam, und wir zogen dann mit Geheul ab nach Hause. Bis dorthin waren unsere Kleider steifgefroren, und in den Schuhen quutschte das Wasser. Je näher wir unserem zu Hause kamen, um so lauter wurde unser Plinsen. Das sollte uns vor Senge schützen. Unsere Schritte wurden nun immer langsamer, denn wir hatten diese schönen Unterzüge mit der Klappe auf dem Hintern an, die aus dickem Barchent bestanden. Diese schienen immer schwerer zu werden, denn sie waren voll Wasser gesogen und begannen steif zu frieren. Zu Hause war der Schrecken meiner Mutter groß. "De arm Marjell ward sek verkille, o Geu ,o Geu!" also ausziehen, in eine Decke wickeln und Füße brühen. Füßebrühen war Muttchens Allheilmittel und wurde dauernd angewandt. Die Schule fiel für uns aus. Dafür gab es Lindenblütentee mit Kandiszucker. Es hat geholfen, denn ich wurde nicht krank.
Auch diese Rodelbahn gibt es nicht mehr. Dieses Tal mit dem Fließ ist zugeschwemmt mit dem Abraum des Bernsteintagebaues und das Wasser versickert irgendwo im Sand und fließt in kleinen Rinnsalen zur See.
Als wir älter waren, liefen wir auf unseren Skiern durch den tief verschneiten Park zum Seeberg am Schloßhotel. Dort gab es neben der großen Treppe gleich zwei Abfahrten zur Se hinunter. Eine steile und eine weniger steile. Die weniger steile wurde von uns Marjellens bevorzugt. Erstens sahen es die Jungs nicht gerne, wenn wir auf der riskanten fuhren, und zweitens hatten wir Angst, Spitzensalat zu machen, wenn wir am Strand die Kurve nicht kriegten. Dort lauerte auch die Gefahr, in die aufgetürmten Eissehollen zu geraten, die von der See angeschwemmt waren.
Die steile Abfahrt glich unserer Meinung nach auch schon einer Lauberhornabfahrt, die wir nur vom Hörensagen kannten. Es gab ja noch kein Fernsehen, und wir konnten uns die richtigen Berge nicht vorstellen.
Heute ist die Treppe am Schloßhotel zerstört, der Strand zur Zeit schmal geworden, so daß die Wellen bei Sturm bis an den Seeberg rollen.
Dann gab es noch den Ölteich. Hier wurde das Wasser im Winter, das von der Lackiererei und der Ölfabrik des Bernsteinwerkes aus einem Rohr aus dem Seeberg floß, hinter den Dünen gestaut. Das war unsere einzige Eisbahn, die es im Dorf gab. und da war immer viel Betrieb. Wer keine Schlittschuhe besaß, ging schorren auf Schlorren. Lehrer Siebrandt konnte eine Acht laufen und wurde von uns sehr bewundert. Wir versuchten es auch, aber so richtig gelang die Acht nicht. Eine hübsche Marjell hatte sogar ein Eislaufröckehen an, damit prömmelte sie rum. Die wurde noch mehr bewundert, weil sie sich deerte, bei uns auf dem Dorf so aufzutreten. Beneidet haben wir sie im Stillen auch, aber das gaben wir nicht zu und schauten ein bisschen gnietsch zu, wenn sie ihre Kringel zog.

Einmal, bei Tauwetter wollten wir unserer drei Marjellens, mal feststellen wie tief der Ölteich ist. Wir gingen alle drei bis zum Ende der Eisscholle und wollten mit langen Stöcken die Wassertiefe messen. Dabei brachen wir dann auch prompt ein. Wir versanken bis zum Bauch im öligen Wasser, krochen auf die Scholle zurück und das Malheur wiederholte sich noch einmal. Ich sehe heute noch meinen Handschke neben mir schwimmen. Der durfte nicht verloren gehen, und ich angelte ihn noch raus, bevor ich festen Boden unter den Füßen hatte.
Der Nachhauseweg war weit, und wir bibberten und jammerten vor uns hin: "Ich krieg Dresche, ich krieg Dresche!" um dann an der Haustür in Heulen überzugehen. Dresche kriegte ich nicht. Muttchen krakeelte zwar rum, aber dieses Mal wurde Wasser heiß gemacht für die Zinkwanne Badezimmer gab es kaum im Dorf und der ganze Körper wurde gebrüht, wegen der Erkältung und weil alles nach Öl stank. Danach gab es Tee und es ging ab in's Bett, als Strafe und auch zum Schwitzen.
Winterfreuden, Winterleiden, so war es damals. Was für eine herrliche Winterzeit trotz Stiemen und eisiger Kälte. Schön, daß es immer einen Kachelofen gab, an dem man sich wärmen konnte, wenn man durchgehubbert nach Hause kam, und in dessen Röhre Bratäpfel bruzzelten und einen wunderbaren Duft verbreiteten.
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Es grüßt Euch und wünscht einen schöne Winterzeit

Eure Hanni Lenczewski




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