Heimat Bote Nr. 45

Von Jens P. Domer, Kieler Nachrichten, 22.6.05

Eine Stadt voller Gegensätze
Königsberg blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück

Kaliningrad Königsberg war lange Zeit das Herz Ostpreußens Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel die Stadt an die Sowjetunion und wurde in Kaliningrad umbenannt. Anfang Juli feiert die einst blühende Stadt mit den beiden Namen ein DoppelJubiläum: Kaliningrad seinen 60., Königsberg seinen 750. Geburtstag.

Energisch beantwortet Olga Dramaretskaja eine ungestellte Frage. "Kaliningrad ist eine russische Stadtgründung", konstatiert sie mit erhobener Braue, ,,das ist Fakt." Niemand soll daran denken, mit der PH-Managerin Dramaretskaja die Vergangenheit zu diskutieren. Vielleicht deshalb hat Wladimir Putin der jungen Frau nach dem Stadtjubiläum von St, Petersburg auch die 750JahrFeiern im alten Königsberg propagandistisch überlassen.
Leider ist Putin für seine Öffentlichkeitsarbeiterin das größte Problem. Quälend lange ließ sich der Präsident mit der Zusage zur Teilnahme an den dreitägigen Festen an der Pregel Zeit. In "König", wie vor allem junge Russen ihre Heimatstadt nennen, freut man sich jetzt auch auf den deutschen Kanzler am 3. Juli.
Ansonsten liegt Unsicherheit über der Stadt, Wo früher sowjetische Ruhe erste Bürgerpflicht war, herrscht nun Spannung pur. Die vielen ehemaligen Militärs steuern ihre Taxis durch Gegensätze. "An manchen Stellen wird König geschmückt wie verrückt", weiß Oberstleutnant a. D. Dmitrij Kusnezow, "an anderen sind die Aufrufe zum frischen Glanz schon verpufft, "Auffallend ist auch der Unterschied zwischen regionaler und zentraler Macht. Während man sich im fernen Moskau ungeheuer schwer damit tat, ob das Stadtjubiläum überhaupt begangen werden soll, nutzt die Verwaltung des Kaliningrader Gebietes ihre beschränkte Kompetenz. Zugleich werden zum Jubiläum Vergünstigungen für Investoren in
Aussicht gestellt. Wer mindestens 4,2 Millionen Büro ins Kaliningrader Gebiet pumpt, genießt unter anderem VisaFreiheit. Trotz des Wegfalls von Mehrwertsteuer und Zollgebühren konnte die ansässige Bevölkerung nicht profitieren. Bei der Volkszahlung 2002 kam man auf exakt 955281 Einwohner, darunter 8430 mit deutschen Wurzeln.
Ob das Gebiet wirklich vorwärts kommt, hängt am Schicksal von German Gref. Russlands Wirtschaftsminister ist der letzte Liberale im Kabinett. Putin hat ihn mit dem Aufschwung für Kaliningrad betraut und ihm vorab das Jubiläum übertragen. Geht es schief, sind alle Pläne von Gref sofort Makulatur.
"Eine Stadt eine Geschichte", "Eine russische Stadt im Herzen Europas", "Kaliningrad ist der Treffpunkt von Russland und Europa" die Parolen der drei Festtage wurden im Kreml formuliert. Russische Ideen beflügelten die Stadt. Nachdem in russischer Lesart fast im Alleingang der faschistische Gauleiter Koch das blühende Gemeinwesen zu Grunde gerichtet hatte, kehrte der Kreml endgültig zurück. Der Schwerpunkt des Jubiläums ist deshalb der Siegesplatz.
Das Lenindenkmal mit seinem Sockel aus deutschen Grabsteinen hat ihn verlassen. Dafür wird zum Jubiläum eine kleinere Kopie des größten russischen Kirchengebäudes der Moskauer Christuskathedrale im Rohbau am Platz geweiht. Mit dem restaurierten Königstor, einem historischen Umzug, der Segelparade, einem Jahrmarkt und viel Feuerwerk bereichert sie das Festival.
Allerdings wird wie üblich bis zur letzten Minute viel improvisiert. Etwa im von den Kaliningradern heiß geliebten Zoo. Weil die vom Kreml zugesagten 1,3 Millionen Euro zum nun Sanieren spurlos verschwanden, reicht es wieder nur zur Flickschusterei. Immerhin lässt sich so das Robbenbecken endlich reparieren.
Alle Hotels sind an den Festtagen für private Gäste gesperrt. Schon die 1500 geladenen Freunde der Regionalverwaltung kommen in Bedrängnis, wenn Putin wie üblich mit einer riesigen Delegation die Provinz beehrt. Nebenbei erhält der deutsche Generalkonsul anlässlich des Jubiläums keineswegs ein regelrechtes Büro. Seit eineinhalb Jahren haust Cornelius Sommer auf Betreiben des Kremls mit seinen acht Mitarbeitern im Hotel Albertina am Rande der Stadt Der Diplomat freut sich dennoch auf die Festtage. Wie Student Ilja oder Rentnerin Alewtina ist er gespannt, "was nun wirklich am 1. Juli bei uns passiert."




Die Potsdamer Konferenz der drei Siegermächte USA, Großbritanien und Sowjetunion sah 1945 unter anderem die verwaltungsmäßige Zuordnung des nördlichen Ostpreußens bis zur endgültigen Regelung durch eine Friedenskonferenz zur Sowjetunion vor. Am 17. Oktober 1945 gliederte die UdSSR dieses Gebiet der Sowjetrepublik Russland an, Königsberg wurde Hauptstadt dieses Gebiets. Noch im Herbst trafen die ersten Neubürger aus verschiedenen Sowjetrepubliken ein doch nur ein Teil von ihnen kam freiwillig.
1947 erhielt Königsberg den neuen Namen Kaliningrad. Der Narne erinnert an den Kommunisten und Stalinfreund Michail Iwanowitsch Kalinin (1875 bis 1946). Er war das erste Staatsoberhaupt der Sowjetunion. Inzwischen war die Zahl der deutschen Einwohner durch Todesfälle, Exekutionen und Deportationen auf etwa 25000 zurückgegangen, die bis 1948 fast ausnahmslos nach Deutschland ausgewiesen wurden. Bis 1991 war Kaliningrad lediglich Verwaltungszentrale eines total abgeschirmten Militärdistrikts, in dem nichts erneuert oder ausgebessert wurde. Heute lebt in Kaliningrad bereits die zweite und die dritte Generation von Russen, Weißrussen, Ukrainern, Kasachen, Litauern und anderen ehemaligen Sowjetbürgern.


Mit der baltischen Flotte in die Zukunft

Im ehemaligen Pillau wird ein Neubeginn versucht – Erinnerungen an die deutsche Zeit bleiben
Von Jens P. Domer

Baltijsk - Ein Mann wie ein Prellbock oder die Sturheit in Person. Wenn Admiral Wladimir Walujew die Lage erklärt, decken sich Sehen und Hören perfekt. Der Befehlshaber der Baltischen Flotte sitzt nicht nur da wie ein Klotz. Auch seine Körpersprache ist im Boden verankert. Dazu kommt, was er sagt.
Unüberhörbar ist das Bedauern bei Walujews Begrüßung. Nicht, dass hier im mürben Offiziershaus von Kaliningrad der Putz von den Wänden fällt, stört den DreiSterneAdmiral. Dass er überhaupt erklären muss, was eine Kriegsflotte soll, sorgt für sein rotes Gesicht. Im Gegensatz zu den Flotten im Pazifik, im Schwarzen und im Nordmeer sind Atomwaffen auf seinen Schiffen unbekannt, betont der 58jährige Admiral. Überhaupt wäre man im Baltischen Meer mittlerweile vor allem international eingebunden, mithin auch nicht anders organisiert als die NATO-Verbände.
Baltijsk, das ehemalige Pillau, ist Heimathafen der Baltischen Flotte. Bis 1991 war der Stützpunkt für Ausländer total gesperrt. Mittlerweile dürfen ihn gelegentlich Korrespondenten besuchen. Sofern es Admiral Walujew erlaubt.
In den Hafenbecken dümpeln etwa 50 Kampfschiffe verschiedener Klassen, davon angeblich 40 in Alarmbereitschaft. Dazu kommen rund 100 Fluggeräte und planmäßig 25000 Mann. Fast fünf Sechstel der Einwohner im ehemals malerischen Pillau am Durchbruch der Frischen Nehrung und Kopf des Königsberger Seekanals gehören so oder so zur Marine.
Seit Jahren versucht man im Ort einen Neubeginn mit alten Wurzeln. Die brutalen sowjetischen Wohnsilos, ohnehin abbruchreif, sollen Platz machen für Neubauten und einen restaurierten Altbestand aus ehemals deutscher Zeit. Am leichtesten fällt dies offenbar bei den ehemaligen Reichskasernen. Am Kanal erhebt sich das neue Denkmal von Peter dem Großen. Für viele Russen der eigentliche Initiator zur Zivilisation in einem Landstrich, den demnach nur vorübergehend Deutsche ihr Ostpreußen nannten.
Auch um das 1959 eingerichtete Marinemuseum der Baltischen Flotte am Paradeplatz einen Steinwurf vom restaurierten SchinkelLeuchtturm entfernt werden historische Fassaden erneuert. Im Museum drängt sich der Eindruck auf, dass die Gegend schon immer unter dem besonderen Schutz Russlands stand.
Neben den Geschenken von seinen Vorgängern ist bereits Platz für die Vitrine mit Walujews Uniform, seinen Orden, seiner Armbanduhr, seinem Füllfederhalter und vielen markanten Portraits. Kriegsveteranen wie der 8l jährige, ehemalige Kapitän Anatolij Ptizyn sehen die Geschichte differenzierter: "Die Deutschen haben doch auch nur ihre Befehle erfüllt."
Im anderen Hafenbecken fließt der Schweiß. Wieder und wieder werden Landemanöver mit Marineinfanteristen auf Schützenpanzerwagen trainiert. Ob man so Pirateninseln oder doch NATOKüsten erobern will bleibt geheim.
Die holprige Rückfahrt nach Kaliningrad führt an zahllosen Sperrgebieten vorbei. Längst können Moskaus Streitkräfte ihre gewaltige militärische Infrastruktur im Kaliningrader Gebiet nicht mehr unterhalten Hinter Stacheldraht und rostigen Warnschildern verwildern Startbahnen, Nachschubbasen oder Truppenübungsplätze, oft in bester strategischer Lage für friedliche Investoren. Ihre Landgewinne kosten vor allem wertvolle Zeit.






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