Heimat Bote Nr. 47

Dr. Ing. Werner Zibner

Das Wrack im Haff

Der Im Heimatboten Folge 45 meldet Gerhard Kosemund, dass Ruslan Aksjonkin auf einer Sandbank im Frischen Haff die Reste eines deutschen Fischerkahns gefunden hat. Nach meiner Kenntnis der örtlichen Verhältnisse könnte es sich dabei um die Reste eines Angel- oder Keitelkahns handeln, der auf dem Peyser Haken angespült worden ist. Jedenfalls nehme ich diese Meldung zum Anlass, um auf betrübliche Dinge hinzuweisen.

Nach dem Krieg lagen die Angelkähne unserer Fischer beschädigt und vollgelaufen in den Häfen, an den Ufern des Kanals und des Haffes. Wir, die wir das Glück hatten, nicht verschleppt zu werden, hatten einige dieser Fahrzeuge gehoben und wieder instand gesetzt. Netze und Keitelgarne fanden wir auf den Böden der Fischerhäuser. So entstand insbesondere in Zimmerbude wieder eine stattliche Flotte, die auf dem Frischen Haff schon im Sommer 1945 zum Fang auslaufen konnte. Unser Fangbereich erstreckte sich vom Niederhaff bis zur polnischen Grenze. Leider war das Fischen mit Schleppnetzen auf dem Haff mit Gefahren verbunden. Es waren nicht nur die vielen Flugzeugwracks, an denen unsere Schleppnetze hängen blieben. Wenige Wochen vor Kriegsende hatte die Wehrmacht die Fischhausener Wiek auf der Ostseite des Kanals von Kamstigall bis Peyse mit Minen abgesperrt.
Offenbar hatte man befürchtet, dass die Russen vom Festland aus die südliche Samlandküste mit Schiffen angreifen könnten. Diese Minen wurden einigen von unseren Fischern zum Verhängnis. Nach meiner Erinnerung waren es alleine aus Zimmerbude vier Angelkähne, die diesen Minen zum Opfer gefallen sind. Auf jedem Fahrzeug befanden sich etwa drei Personen.
Nur ein Fischer, Heinz Klement, aus Zimmerbude überlebte die Explosion einer Mine und konnte über den Hergang berichten. Danach war er beim Schleppen mit seinem Angelkahn in die Nähe des verminten Bereiches geraten und hatte eine Mine eingefangen. Beim Einholen des Keitelgarnes erkannte er die Mine in dem trüben Wasser des Haffes zu spät. In dem Augenblick, in dem er die Mine sah, erfolgte die Detonation, und er wurde durch die Gewalt der Explosion zur anderen Seite des Schiffes ins Wasser geschleudert. Es gelang ihm, sich aus dem Gewirr von Netzen, Segeln und Brettern zu befreien, und mit Hilfe eines Bodenbrettes schwimmend das Ufer von Peyse zu erreichen. Am Nachmittag desselben Tages traf er verletzt auf dem Landwege in Zimmerbude ein. Seine Besatzungsmitglieder verloren ihr Leben, der Angelkahn, einer der längsten von etwa 12 m, ging im Bereich des Peyser Hakens unter. Ursprünglich hatten wir vermutet, dass den Fischern, die nicht mehr heimgekehrt waren, nachts die Flucht durch das Pillauer Tief gelungen wäre.

Nach diesem Ereignis bestand kein Zweifel, dass die anderen verunglückten Kähne auf die gleiche Weise verloren gegangen waren.
Bis zum 28. Oktober 1947 fischten wir auf dem Haff immer in der Gefahr eine abgetriebene Mine einzufangen.
Das Haff und die Fischerei waren aber für uns damals die Grundlage zum Überleben, und so mussten wir das Risiko eines Unfalls eingehen.
Am 29. Oktober 1947 wurden wir von den Russen vertrieben und ließen eine intakte Fischereiflotte zurück. Die Russen hatten nie gelernt, mit unserer Segeltechnik den Fischfang zu betreiben.
Unsere Angelkähne auf dem Frischen Haff waren im Gegensatz zu den Kurenkähnen auf Kiel gebaut, und daraus resultierte eine effektivere Schlepptechnik. Die bekannteren Kurenkähne hatten einen Flachboden und ließen sich beim Keiteln quer treiben. Mit unseren Angelkähnen schleppten wir das Netz hinterher und konnten mit höherer Geschwindigkeit fahren.

Nach 44 Jahren (1992) konnte ich mit meinem Segelboot von Travemünde aus aufgrund einer Einladung von Juri Eröjmin aus Zimmerbude in unsere alte Heimat bis nach Königsberg und ins Frische Haff segeln. Die Russen hatten zwischenzeitlich die Minen geräumt, und so konnte ich mit meiner Mannschaft den Gefahrenbereich von damals durchqueren.
Vergeblich hielt ich Ausschau nach Spuren unserer stolzen Boote. Die Wracks, die heute noch auf dem Grund des Haffes liegen, werden wegen der Eichenbauweise noch viele hundert Jahre erhalten bleiben und von unserer Fischereikultur auch dann noch Zeugnis ablegen können, wenn wir, die letzten dieser Zunft, die Seefahrt lange eingestellt haben.




Zurück
zum Seitenanfang

Zurück
zum Inhalt Nr. 47