Heimat Bote Nr. 48

Heinz Szameitat

Der Winter ist ein rechter Mann,
kernfest und auf die Dauer

Königsberg konnte es wohl nicht mit Davos oder Garmisch-Partenkirchen aufnehmen, doch bot es Bürgern im Winter zahlreiche Sportmöglichkeiten. Temperaturen bis unter 30 Grad und andauernder Schneefall bereiteten den Stadtvätern manche Probleme. Pausenlos räumten Kolonnen Arbeitslose die Fahrbahnen, die weiße Pracht wurde entweder in den Pregel gekippt oder auf die Felder außerhalb der Stadt verteilt. Hohe Schneeberge lagen am Bürgersteig, sie waren oft so hoch, dass wir Kinder über sie nicht hinwegsehen konnten. War die Eisdecke des Flusses dick genug, überquerte ich den Pregel, um schneller zur Schule zu gelangen. Selbst Pferdeschlitten konnte man hier antreffen. Ich bin nicht zur Schule gegangen, sondern geschorrt; die Chirurgen hatten laufend zu tun und verarbeiten wohl viele Tonnen Gips.
Jede Jahreszeit hat bekanntlich ihre Gefahren, im Sommer musste man sich gegen Sonnenbrand und Hitzschlag schützen, im Winter waren Nasen und Ohren gefährdet. Doch nicht jede rot-blaue Nase rührte von der Kälte her, sie konnte auch die Folge zu mächtigen Alkoholgenusses sein. Am Ende eines Winters beklagte mancher Königsberger erfrorene Ohren oder Frostbeulen an den Zehen.
Als wohltuend empfand man die Wärme des riesigen Kachelofens, wenn man vom Rodeln oder Schlittschuhlaufen heimkehrte. Mutter hatte die "Wuschen" (Hausschuhe) in der Röhre angewärmt, und die heißen Bratäpfel rochen und schmeckten vorzüglich.
Das notwendige Heizmaterial wurde bereits im Sommer eingekauft, kräftige Männer, mit Kapuzen über dem Kopf, schleppten die schweren Kohlensäcke in den Keller, die Briketts habe ich aufstapeln müssen.
Neben dem Schlittschuhlaufen, das ich ja bereits näher beschrieben habe, stand das Rodeln hoch im Ansehen. Fast jedes Kind besaß einen eigenen Schlitten. Die rodelnde Jugend traf sich am Veilchenberg und in Luisenwahl. Der Veilchenberg mit seinen langen Hängen nach dem Pregel zu und die Wiesen im Talgrund boten einen geradezu idealen Tummelplatz für jung und alt.
Viele Bahnen gab es am Veilchenberg, für Anfänger und Fortgeschrittene: Sanfte Hänge, steile mit Buckeln, und die vereisten, auf denen man gefährlich kreiselte. Auf diesen konnten sich nur ganz gewiegte Rodler behaupten. Weitere Rodelbahnen befanden sich an den Wällen vor den Toren der Stadt.
Suchte man nicht gerade rasante Abfahrten, so konnte man am Galtgarben, dem höchsten Berg des Samlandes, (110 m!) gar Ski laufen, die Zahl der Langläufer nahm ständig zu.
Denke ich an den ostpreußischen Winter zurück und vergleiche ihn mit dem des Westens, so muß ich gestehen: Für mich war der Winter in der Heimat immer wieder ein Märchen, trotz der klirrenden Kälte und angefrorener Ohren!


Aus dem Buch Heinz Szameitat: "Auf der Suche nach der Vergangenheit", Gestaltung und Druck – Wolfgang Szameitat, Copyright C 1995



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