Heimat Bote Nr. 48

Hanni Lenczewski-Wittke
Palmnicker Geschichten:


Flammfladen

Als wir kleinen Spochte 1934 in die Schule kamen, wurden wir in der Schulbaracke am Gutshof untergebracht. Der Weg zur Schule war für uns mit manchen Unannehmlichkeiten, aber auch mit Angenehmen gepflastert. Im Herbst fielen aus manchen Gärten Spillen und Äpfel auf die Zufahrtswege zu den Häusern, die wir in unseren Brotkapseln aufsammelten und mit in die Schule nahmen. Besonders die süßen, saftigen Spillen hatten es uns angetan, die nicht jeder in seinem Garten hatte. Spillen sind Mirabellen.
Die unangenehmen Seiten waren die zwei frechen Bowkes, die am Bernsteinhäuschen wohnten, und die uns immer verdreschen wollten. Weiter an einem der Gutshäuser wartete schon unser Mitschüler Alfred, der dort wohnte, auf uns, um uns auch zu verkloppen. Warum eigentlich, wir waren doch nur harmlose kleine Marjellens?
Wenn wir diese Hürden im Galopp hinter uns gelassen hatten, kam etwas Erfreuliches. Wir mussten an den Insthäusern vorbei, und hier stand ein großer Backofen, in dem die Instleute ihre Brote und Kuchen backen konnten. Der Backofen wurde mit Holz befeuert, und in den späteren Jahren wurde er sogar elektrisch beheizt. Die Instleute bekamen einen Teil ihres Lohnes in Naturalien ausbezahlt und backten ihre Brote und Kuchen selber. Zwei oder drei Mal in der Woche stieg uns morgens der Duft von frisch gebackenem Brot schon von weitem verführerisch in die Nase. Die Frauen standen dort mit ihrem Angeteigtem, kakelten, jabbelten und warteten, bis der Ofen heiß war, und sie an die Reihe kamen, um die Brote in den Ofen zu schieben. Zu den Köstlichkeiten, die dort auch gebacken wurden, gehörten die Flammfladen. Die kamen zum Schluss dran, wenn der Ofen nicht mehr so heiß war. Sie bestanden aus dem restlichen Brotteig, der auf ein Backblech gestrichen und dick mit Zucker bestreut wurde. Manchmal kamen auch noch Butterflöckchen darauf, was sie besonders schmackhaft machte.
Wir kleinen Gnosen jielten nach diesen großen Kuchenblechen und uns jankerte natürlich nach so einem Stück Flammfladen, den wir aber leider nicht bekamen. Zu gerne hätten wir ihn einmal probiert, zu Hause gab es so etwas nicht. Da gab es nur richtige Blechkuchen mit Streusel oder anderen Belegen, aber keine Flammfladen.
Die Kinder der Instleute liefen aber in der Pause vom Schulhof zum Backhaus und erhielten natürlich ein Stück Schmeckkuchen.


Es war kurz nach unserer Vertreibung 1948, als unser Omchen, die 1945 geflüchtet war und in Schleswig-Holstein wohnte, uns im Sauerland besuchen kam. Wir hatten in dieser schlechten Zeit nicht viel zu essen, und Muttchen backte selbst Brot und verlängerte den Teig mit Kartoffelschalen. Wir wohnten in einem winzigen Zimmer zur Untermiete mit drei Personen, und nun kam für kurze Zeit auch noch Omchen dazu. Aber die Wiedersehensfreude war groß, da nahm man die Enge gerne in Kauf. Muttchen backte also Brot, das sie bei einer netten Nachbarin - einer alten Ostpreußin, die schon vor dem ersten Weltkrieg nach Westfalen verschlagen wurde - abbacken konnte, und als Höhepunkt machte sie natürlich einen Flammfladen. Zur Mittagspause kam ich nach Hause, wir saßen eng gedrängt um den Tisch herum und aßen. Danach pracherte ich nach einem Stück Fladen, weil ich zum Kaffee nicht zu Hause war, und ich wieder los musste. Muttchen wollte nun den Fladen anschneiden, aber er war unauffindbar. Viele Möglichkeiten zum Suchen gab es nicht in dem kleinen Zimmer, und bei der netten Nachbarin war er auch nicht. Wo konnte er nur stecken? Er konnte doch in keine Ritz geschorrt sein! Es half nuscht, er war einfach weg. Wir saßen ganz bedripst da und dachten an die ungelösten Rätsel dieser Erde! Meine Zeit war um und traurig, weil ohne ein Stück Fladen, nahm ich Abschied. Omchen musste nun aufstehen, um mich von hinter dem Tisch durchzulassen und strich sich nach fraulicher Sitte mit den Händen den Rock über dem Hintern glatt. Oh großes Gottchen, Erbarmung was war denn das? Der Rock war ganz klebrig, was konnte das nur sein? Man brauchte gar nicht lange zu raten, es war der Zucker vom Flammfladen. Ist es die Möglichkeit? Sie hatte die ganze Zeit auf ihm gesessen. "Ach nein", sagte Omchen "und mir war doch so schön warm vorm Nasch." Ob wir den Fladen gegessen haben? Natürlich! Er hat uns ganz vorzüglich geschmeckt.

Als Omchen zu Opa nach Schleswig Holstein zurückgekehrt war und die Geschichte erzählte, fragte er sie morgens eine Zeit lang immer: "Na Floodenasch, häst got jeschloope?"

Der Backofen in Palmnicken stand noch bis Ende 1995 und ist dann abgebrochen worden. Verschwunden wie vieles aus der Vergangenheit. Aber alles hat seine Zeit und nuscht is nu all.

Es grüßt Euch Bernsteinanhänger und alle die diese Geschichte lesen
Eure Hanni Lenczewski-Wittke



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