Heimat Bote Nr. 48

Werner Thalmann

Von Großheidekrug (1927) nach Elsfleth (1951)

Diese Geschichte schreibe ich für meine liebe Mutschi und für unsere Kinder und Enkelkinder, soweit es sie interessiert.

Als ich geboren wurde, wusste ich noch gar nichts von Elsfleth. Das war am 6. Juli 1927, am frühen Morgen. Die Sonne war gerade aufgegangen, die Vögel sangen fröhliche Lieder, und alle Leute im Dorf freuten sich, dass ich da war. Dieses Dorf hieß Großheidekrug und lag 20 km von Königsberg am Frischen Haff, eine Gegend, in der man gut leben konnte. Das tat ich dann auch in den nächsten Jahren. Sehr hilfreich war mir dabei das harmonische Elternhaus, obwohl ich meinen Vater nur an den Wochenenden und im Urlaub sah. Der war als Koch und Matrose beim Wasserstraßenamt in Pillau beschäftigt und fuhr auf dem Tonnenleger "Samland". Da waren aber noch meine Mutter und zwei Brüder, Herbert und Heinz, fünf und vier Jahre älter als ich. Die liebten mich alle sehr, meine Mutter bestimmt, meine Brüder nur, wenn ich sie nicht ärgerte. Das tat ich oft und gerne, wofür sie mich dann verprügelten.
Doch eines Tages zeigte sich das Leben etwas ernster. Ich war noch nicht einmal sechs, als ich zur Schule musste. Da habe ich erstmal fürchterlich gebrüllt und meine Klassenkollegen verhauen. So konnte ich schon nach einer Stunde nach Hause gehen. Später hat mir die Chose dann doch noch Spaß gemacht. Darum konnte ich später sogar zur Oberschule nach Königsberg gehen. Doch diese Zeit wurde zum großen Teil von dem großen Krieg überschattet.
Zuerst habe ich davon noch nicht viel gemerkt. Aber als ein Vetter gefallen war, und meine Brüder eingezogen wurden, bekam ich doch spitz, dass es ernst wurde. In dieser Zeit hörte ich zum ersten Mal den Namen Elsfleth. Ein Onkel hatte mit seinem Schlepper auf dem Weg nach Holland in Elsfleth festgemacht. Das änderte aber nicht mein Leben. Dazu kam es 1943.

Ich war gerade sechzehn Jahre alt, da wurde ich eingezogen als Flakhelfer. Das war so eine Art Soldat mit viel Pflichten und wenigen Rechten. Jedenfalls wurden wir an Kanonen ausgebildet, mit denen wir feindliche Flugzeuge vom Himmel schießen sollten. Ob uns das jemals gelungen ist, weiß ich nicht.
Zunächst kam ich in die Nähe von Königsberg. Da gab es viel Alarm aber keine Flieger. Das änderte sich im Januar 1944. Wir wurden nach Berlin verlegt, und das war schlimm. Jede Nacht Bombenangriffe und wir mussten raus an die Kanonen und schießen. Das taten wir auch wie der Deubel, bloß es half nichts. Berlin wurde jede Nacht ein Stück mehr zerstört. Das ging so ein paar Monate, dann kamen wir wieder zurück nach Königsberg.
In der neuen Stellung hatten wir erst mal Ruhe, nix mit Schießen und selten Alarm. Ich konnte sogar öfter nach Hause fahren. Das ging so bis September 44. Dann kam es aber knüppeldick. Riesige Pulks englischer Flugzeuge griffen Königsberg an. Da halfen auch unsere Kanonen nichts, die Stadt wurde zerstört, und viele Menschen mussten sterben.
Bald danach wurden wir Jungs plötzlich entlassen. Ich freute mich natürlich auf zu Hause, aber das war wohl nix. Nach ein paar Tagen wurde ich in ein Schulungslager der Nazis befohlen. Dort traf ich viele Jungs von der Flak wieder und erfuhr auch den Grund dieser Aktion. Angeblich waren wir politisch nicht mehr zuverlässig. Die nächsten vier Wochen wurden schlimm. Man nahm so eine Art Gehirnwäsche mit uns vor, und gedrillt wurden wir auch noch. Na, ich habe es überstanden.
Anfang Dezember war ich wieder zu Hause, aber ich konnte mich nicht freuen. Die Russen hatten schon Teile Ostpreußens erobert, und wir hatten die ersten Flüchtlinge im Haus. Weihnachten war dann die ganze Familie noch einmal zusammen. Meine Brüder hatten Kurzurlaub bekommen, und ein Vetter kam auch noch von der Front. Es war ein trauriges Fest. Vielleicht ahnten wir, dass es das letzte Zusammensein sein würde. Ich hatte .noch eine Frist bis Januar 45. Da wurde ich zum Volkssturm eingezogen, aber schon ein paar Tage später in eine Uniform gesteckt. Nun war ich also Soldat. Was dann folgte, war ein Alptraum. Im März wurde unsere Einheit in die Nähe von Großheidekrug verlegt. So konnte ich noch einmal in mein Elternhaus, und dort traf ich meinen Vater zum letzten Mal. Meine Mutter war schon irgendwo auf der Flucht. Ein paar Tage später wurde ich verwundet und kam in ein Feldlazarett. Nach einer strengen Untersuchung wurde ich kämpfunfähig geschrieben. Es war eigentlich gar nicht so schlimm, aber meine Kopfverletzung blutete so stark, dass es schlimm aussah. So wurde ich mit anderen auf ein Schiff der Marine gebracht. In derselben Nacht liefen wir noch aus und landeten auf Hela. Damit war ich aber noch nicht aus dem Schneider. Die Russen hatten die Halbinsel dicht gemacht, so dass man auf dem Landweg nicht weg kam.
Vor Hela lag die "Moltkefels" am Anker. Das Schiff war voll gepfropft mit Flüchtlingen und Soldaten, die alle nach Westen wollten. Irgendwie gelangte auch ich an Bord und ergatterte einen Platz an Deck. Aber nicht für lange. Plötzlich waren russische Flugzeuge da und bombardierten uns. Es war die Hölle. Jetzt kam mir mein blutiger Kopfverband zu passe. Ich war unter den ersten, die abgeborgen wurden. Bloß jetzt saß ich wieder auf Hela und wartete mit Tausenden anderen auf ein Schiff, das uns aus dem Chaos rausbringen würde. Und wieder half mir mein Kopfverband. Mit anderen Schwerverletzten kam ich auf ein Marineboot, das gleich danach auslief. Ziel unbekannt.
Wir landeten in Stralsund und wurden dort in einem Feldlazarett untergebracht. Hier sah alles recht friedlich aus, und ich konnte mich wieder berappeln. Leider hielt die Ruhe nicht lange an. Die Russen hatten die Stadt fast erreicht, als es hieß, Verwundete und Kranke dürften sich auf eigene Faust nach Sassnitz durchschlagen, um auf ein Schiff zu kommen. Ich war natürlich dabei, und mit leichtem Gepäck marschierte ich los. Als der Tag fast um war, kamen mir doch leichte Zweifel, ob ich es schaffen würde. Aber ich hatte Glück, ein Lastwagen nahm mich mit bis Sassnitz. Hier wurden wir aus dem Hilfslazarett wieder eingesammelt, und irgendwer organisierte dann noch, dass wir auf ein Schiff kamen.
Auch dieser Dampfer war voll gestopft mit Menschen. Ich landete in einem Laderaum ohne Bugdielen. So mussten wir unser Lager auf dem blanken Eisen aufschlagen. Nicht gerade gemütlich. Aber ich schlief wie ein Bär. Irgendwann nachts sind wir dann ausgelaufen, denn als ich hochkam, waren wir auf See. Da bekam ich auch spitz, wie der Dampfer hieß: "Werner" aus Hamburg. Es war jetzt Anfang Mai 45. Der Krieg war noch im Gange, aber hier an Bord war es auszuhalten.

Nach ein paar Tagen ankerten wir in Kopenhagen und warteten auf Einlauferlaubnis. Dann kam die Nachricht, dass der Krieg zu Ende ist. Irgendwie berührte mich das kaum. Jedenfalls konnten wir jetzt einlaufen.
Im Hafen herrschte ein riesiges Chaos, bis man alle Soldaten zusammen hatte und in die Zitadelle transportierte. Hier blieben wir eine gute Woche. Dann wurden Einheiten zu 200 Mann zusammengestellt, und am 24. Mai marschierten wir los in Richtung Deutschland.
Anfangs war das Marschieren ja recht beschwerlich, aber nach ein paar Tagen ging es ganz gut. So kamen wir nach drei Wochen in Heide in Holstein an. Hier wurden wir auf Bauernhöfe verteilt, und in Scheunen und Kuhställen untergebracht. Ich kam auf einen Hof dicht am Kiel-Kanal in der Nähe von Albersdorf. Jetzt war ich also englischer Kriegsgefangener in Deutschland. Weglaufen war sinnlos, das Gebiet wurde begrenzt von Eider, Elbe und Kiel-Kanal und von englischen Truppen überwacht. Aber wo hatte ich auch hin sollen? Ich wusste nicht, wo meine Eltern und Brüder abgeblieben waren, und vom übrigen Deutschland hörten wir auch nicht viel.
Unser Tagesablauf war ziemlich triste. Zum Essen brauchten wir nicht viel Zeit, es gab nur vier Salzkekse und eine Wassersuppe pro Tag, also schliefen wir und warteten. Aber es tat sich nichts. Dann im September hatte ich die große Chance. Man suchte Freiwillige, die für die englische Armee arbeiten wollten. Ich meldete mich und wurde genommen. So kam ich mit anderen aus unserem Lager nach Achterwehr bei Kiel. Hier wurden wir in einer ehemaligen Flakstellung untergebracht, in Baracken mit richtigen Betten. Wir waren etwa 100 Mann, und das ganze nannte sich Arbeitskompanie. Unsere Arbeit war aber nicht schwer. Die Engländer holten uns jeden Morgen zum Straßenausbessern. Oder wir wurden zum Schloss Ehmkendorf gebracht, wo der Generalstab der Engländer residierte. Hier mussten wir Autos waschen, den Park in Ordnung bringen oder in der Küche helfen. Da fiel dann auch mal für uns etwas zum Essen ab. Wir waren jetzt ziemlich frei und hätten auch abhauen können, aber wohin?
Für mich kam es dann noch besser. Mit zwei anderen Kumpels sollten wir ein ehemaliges Freizeitmagazin der Marine bewachen. Das war ein großer Schuppen mitten in Achterwehr mit einer Zweizimmerwohnung. Da machten wir es uns gemütlich und passten auf, dass nicht so viel geklaut wurde. In dem Magazin waren vor allem Werkzeuge und Millionen Kartenspiele. So konnten wir durch Tauschen unseren Speiseplan ganz schön aufbessern, was uns recht gut tat.
Eines Tages traf ich zwei Männer aus Großheidekrug. Wir waren alle platt. Die wussten, dass meine Mutter mit einem Schiff von Pillau nach Swinemünde gefahren war, und dass mein Vater Ende April schwer verwundet wurde. Außerdem kannten sie die Adresse von Tante Liese, die nur 30 km von Achterwehr wohnte. So konnte ich mit Sachen aus unserem Magazin einen Motorrad-Besitzer dazu bringen, mich dorthin zu fahren. Die Freude war groß, als wir uns wieder sahen. Tante Liese wusste, dass meine Mutter mit Cousine Lisbeth und Tochter in der Nähe von Berlin sein sollte. Von meinen Brüdern wusste sie nichts, und vorsichtig brachte sie mir bei, dass mein Vater wohl tot sei. Das war schon ein Hammer für mich. Aber es kam noch schlimmer. Zwischen Weihnachten und Neujahr erreicht mich die Nachricht, dass meine Mutter am 18. Dezember gestorben war, in Brandenberg bei Berlin. Ich glaubte, die Welt müsste untergehen.

Im Februar 46 wurde unser Haufen aufgelöst und wir offiziell aus der Gefangenschaft entlassen. Jetzt wurde es schwierig für mich, denn ich hatte ja keine Bleibe. Da nahm Tante Liese mich erstmal auf, aber auf Dauer war das nichts, denn sie hatte nur ein Zimmer, und meine beiden Cousinen waren auch noch da. Also ging ich auf Wanderschaft, kreuz und quer durch Schleswig-Holstein. Ich besuchte Verwandte und Freunde, die dort überall verstreut wohnten. Dabei bekam ich langsam heraus, wo meine Brüder abgeblieben waren. Herbert wohnte im Westerwald und Heinz in Oberhausen. Heinz habe ich dann auch unter abenteuerlichen Umständen besucht. Zu Herbert konnte ich aber nicht, denn der wohnte in der französischen Zone, und die Franzosen ließen keinen einreisen. Also wieder zurück nach Schleswig-Holstein!
Mein Wohnort war jetzt Rendsburg, aber eine Wohnung hatte ich dort nicht. Doch auf einmal passierte einiges. Zufällig traf ich in Rendsburg einen Mitschüler aus der Königsberger Schule. Der bot mir einen Schlafplatz in seiner Bude an. Das war ein richtiger Lichtblick für mich. Wir zogen zusammen los und suchten Arbeit. Das war aber ziemlich hoffnungslos, denn wir waren beide als Schüler eingezogen worden und hatten keinen Beruf.
Den Kontakt zu Tante Liese hatte ich natürlich nicht abgebrochen. Bei ihr hatte ich auch Walter, meinen Vetter und besten Freund wieder gesehen. Der fuhr als Leichtmatrose auf dem Schoner "Annemarie". Das Schiff hatte seit Kriegsende stillgelegen und sollte wieder in Fahrt gehen. So hatten sie nach Rendsburg verholt und warteten da auf Ladung. Ich besuchte Walter des Öfteren. So lernte ich auch den Kapitän kennen. Es war Ende April, als der mich fragte, ob ich als Schiffsjunge anmustern wollte. Er hatte Ladung in Aussicht und brauchte noch einen Mann. Ich zögere nicht lange und sagte zu. So wurde ich am 1. Mai als Schiffsjunge auf der "Annemarie" angemustert.
Dass dieses Schiff für die nächsten vier Jahre mein zu Hause sein würde, ahnte ich damals natürlich noch nicht. Erst einmal hatte ich viel zu lernen. Neben der Decksarbeit musste ich auch kochen und die Kombüse in Ordnung halten. Da der Käptn selber gerne kochte, hatte ich einen guten Lehrmeister. Zu der Zeit waren es sowieso nur einfache Gerichte.
Unsere erste Reise ging nach Lübeck. Jetzt musste ich auch ans Ruder und das Steuern lernen. Das hatte ich aber schnell intus, denn ich war ja bei meinem Vater an Bord gewesen und hatte den Tonnenleger gesteuert. – Die letzte Reise in dem Jahr ging wieder nach Lübeck und zurück nach Rendsburg mit Kohlen. Dort froren wir dann ein. Das war in dem eisigen Winter 46/47. Wir hatten aber genug Kohlen und brauchten nicht zu frieren. Mit dem Proviant war es nicht ganz so toll, aber wir haben es überstanden.

Im Frühjahr ging es dann richtig los. Wir hatten genug zu fahren und kamen auch schon ins Ausland. Als wir zum ersten Mal nach Schweden kamen, dachten wir, im Paradies zu sein. Es gab alles zu kaufen, die Menschen waren gut angezogen, und es gab keine Trümmer. Für uns war das alles aber nur zum Angucken, denn unsere Mark war nichts wert und Kronen hatten wir nicht.
Im Winter hatten wir auch einen Steuermann an Bord bekommen. Der war nicht viel älter und wir verstanden uns gleich gut mit ihm. So kam dann auch öfter das Thema Seefahrtschule auf die Back. Elsfleth wurde natürlich auch genannt, aber ich war nicht besonders interessiert.
Auf unseren Reisen kamen wir natürlich auch zur Weser, Brake, Bremen und Nordenham. So bekam ich auch spitz, wo Elsfleth genau lag. Bis ich die Perle am Weserstrand kennen lernte, vergingen aber noch ein paar Jahre. Mit der "Annemarie" machten wir viele schöne und auch schwierige Reisen. Da immer eine gute Kameradschaft an Bord herrschte, war es für alle eine angenehme Zeit.
Im Juni 48 war die Währungsreform. Irgendwie wurde das Leben jetzt ernster. Das Geld hatte wieder wert, und man konnte fast alles kaufen, so man Geld hatte. Ich hatte es nicht, denn meine Heuer als Leichtmatrose betrug 45 Mark im Monat. Also musste ich auch weiterhin meinem Hobby nachgehen und schmuggeln, um ein paar Mark mehr zu haben. Inzwischen hatte ich mir aber auch das Ziel gesetzt, einmal eine Seefahrtschule zu besuchen. Aber dazu brauchte man Geld.
Egon, der älteste Matrose, schaffte es nach neun Monaten. Aber der wurde von seinen Eltern unterstützt. – Jetzt wurde das Thema Schule auch für Walter langsam akut, und danach war ich dran. Dass wir nach Elsfleth gehen würden, war für uns schon damals klar. Wir überlegten lange, wie wir es schaffen könnten.
Ich war inzwischen auch Matrose geworden, was wichtig für die Heuer war. Also einigten wir uns auf gegenseitige Hilfe. Walter würde zur Schule gehen, und ich ihn unterstützen. Später sollte es dann umgekehrt laufen. Tatsächlich hat das Ganze später auch so ziemlich geklappt. So musterte Walter Ende des Jahres ab, und ich durchpflügte weiterhin die Nord- und Ostsee mit der "Annemarie". Das ging bis Frühjahr 1950. Da gab mir der Alte den Sack, weil ich zu teuer wurde. Ich nahm es nicht so tragisch, denn ich hatte mein Handwerk gelernt.

Nun stand ich also wieder auf der Straße oder doch nicht. Tante Liese hatte inzwischen eine größere Wohnung bekommen, und da konnte ich fürs erste bleiben. Ich war nun viel unterwegs, um mir ein Schiff zu suchen. Als ich mal wieder von Hamburg kam, fand ich ein Telegramm vor. Mein Bruder Heinz war tödlich verunglückt. Das war ein Hammer. Beerdigt wurde er in Charlottenberg, wo Herbert verheiratet war. Ich fuhr natürlich hin, blieb aber nicht lange. So kam ich gerade rechtzeitig zurück, denn ich hatte einen neuen Job.
Eine Hamburger Reederei stellte eine Besatzung zusammen, die ein Schiff von Norwegen nach Kiel holen sollte, und ich war dabei. Die "Heien" war ein kleiner Dampfer, der lange stillgelegen hatte und leicht vergammelt war. Wir brachten ihn aber heil nach Kiel in die Werft. Dort stiegen wir mit der ganzen Besatzung auf die "M. Förk" um. Das war auch ein Dampfer, der gerade überholt worden war. Hier herrschte ein ganz anderer Stil als auf der "Annemarie". Es gab Offizier und Maschinisten, sogar ein Bootsmann war dabei. Mir gefiel das aber gut so, und ich lebte mich schnell ein. Unser Fahrgebiet war wieder Nord- und Ostsee, aber
das war egal. Die Hauptsache war doch, dass ich einen Job hatte. Hier lernte ich auch die Grundbegriffe der Navigation kennen. Die ganze Besatzung war in Ordnung, und ich hatte ein schönes Leben. Leider hielt das nicht sehr lange an. Im Januar 51 wurde das Schiff aufgelegt, und wir mussten alle von Bord.
Das störte meine Pläne natürlich sehr. Walter war im zweiten Semester und ich ohne Verdienst. Jetzt im Winter ein Schiff zu bekommen, war ziemlich hoffnungslos. So blieb ich eine Zeit in Schleswig-Holstein und fuhr dann nach Charlottenberg. Hier erzählte mir Herbert eines Tages, dass ich 500 Mark bekommen würde. Unser Bruder Heinz hatte eine Unfallversicherung abgeschlossen zu unseren Gunsten. Die 500 Mark waren mein Anteil. Ich sah wieder die Sonne. So hielt es mich nicht mehr lange in Charlottenberg. Bei Tante Liese traf ich mich mit Walter, und wir beratschlagten erneut unsere Finanzen. Wir waren uns bald einig. Er wollte sein letztes Semester ohne meine Hilfe schaffen, und ich sollte im April an der Schule anfangen. Es klappte wunderbar. Walter meldete mich für das Studium an, und ich bekam bald die Bestätigung, dass ich anfangen konnte. Nun blieb nur noch die Frage offen, wo ich wohnen sollte. Diese Angelegenheit klärte ich im Februar. Ich war gerade in Wilhelmshaven, da beschloss ich nach Elsfleth zu fahren. Der Empfang war nicht sehr schön, es war dunkel, und obendrein regnete es noch. Walter wohnte bei Glüsing auf Deichstücken. Als ich da war, stand mir das Wasser in den Schuhen. Die Zimmerfrage hatte sich aber schon gelöst. Ich konnte auch bei Glüsing wohnen. Also verließ ich Elsfleth schon am nächsten Morgen.
Im April wurde es ernst, die Schule fing an. Neben vielen Formalitäten musste ich mich auch bei der Stadt anmelden. So wurde Elsfleth mein erster "fester Wohnsitz" nach langer Zeit. Damit ist meine Geschichte eigentlich zu Ende.

Doch dann traf ich ein Mägdelein,
so wunderschön und engelsrein.
Sie liebte mich, ich liebte ihr,
und ich beschloss, jetzt bleib ich hier.
Das liegt nun lange schon zurück,
für mich war es das große Glück.

Elsfleth, im Dezember 1993


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