Heimat Bote Nr. 48

Kieler Nachrichten, Sonnabend, 19. August 2006

Rückkehr eines Symbols

Von Thoralf Plath

Nicht ein Stein blieb erhalten von dem mächtigen, in Jahrhunderten gewachsenen Ordensbau, der auf dem südlichen Hochufer des Pregelstroms thronte wie ein Wächter im Zentrum der Stadt. Das Schloss verschwand spurlos, samt der Topografie seiner umliegenden Straßen und Gassen. Heute beherrscht eine kahle Fläche das Bild, so groß wie zehn Fußballfelder, nur mühsam verziert von Betonpflaster und längst verrotteten Springbrunnen. Ein staubiger Ort. Es gibt nicht viele Plätze in Kaliningrad, die ungemütlicher wirken.
Wo einst der Ostflügel des Schlosses an den Münzplatz grenzte, ragt das "Dom Sowjetow" auf, das "Haus der Räte". Der 16-stöckige Betonklotz aus der Breschnew-Ära sollte die Dominante der 1969 gesprengten Schlossruine ersetzen, doch bezogen wurde er nie. Königsbergs einplanierte Geschichte zitiert nur noch ein in den frühen 90er-Jahren aus Container-Shops zusammengeschraubtes kleines Einkaufszentrum am Rand des Platzes, zum lärmenden Leninprospekt hin. Staraja bashnja heißt. es, "Alter Turm". Nebenan kann man im Café "Am Schloss" unter alten Schwarzweiß-Fotos der versunkenen Altstadt Cappuccino und italienisches Eis genießen.
Als Vision geistert der Wiederaufbau des 1969 gesprengten Ordens-Schlosses schon einige Jahre durch Kaliningrad. Bislang waren das eher fixe Ideen. Doch nachdem sich unlängst der einflussreiche Kulturrat für die Wiederaufbaupläne ausgesprochen hat, gilt das neue Schloss quasi als beschlossen. Der Kulturrat vereint Museumsdirektoren, Wissenschaftler und Regionalpolitiker bis hoch zu Gouverneur Georgij Boos.
Im Modell ist das alte neue Königsberg-Wahrzeichen schon fertig. Es zeigt ein schmuckes weißes Miniaturschloss neben dem radikal modernisierten "Haus der Räte", flankiert von pompösen Wolkenkratzern neurussischer Spielart, wie sie derzeit in den Moskauer Himmel wachsen. Der neue Kaliningrader Chefarchitekt Alexander Baschin hat neben diesem Entwurf noch zwei weitere Szenarien für den neuen Schlossplatz parat: eine "nostagisch-historische" Variante, die sich eng an die Bebauung im Königsberg des Jahres 1939 anlehnt, sowie ein futuristisch-modernes Konzept in Glas, Beton und Stahl. Doch selbst in dieser modernen Umgebung kann sich Baschin das Schloss vorstellen: "Wir müssen uns ohnehin von dem Gedanken lösen, das Königsberger Schloss in seinem originalen Aussehen wiederzubekommen. Der Reiz liegt doch viel mehr darin, es mit modernen Elementen zu verbinden." Die historische Kontur des Ordensbaus mit Turm und einem wiedererrichteten Flügel integriert in moderne Architektur - das ist die von Baschin favorisierte Variante der Königsberger Schloss-Renaissance.
Auf 100 Millionen Euro beziffert Baschin die Kosten des Wiederaufbaus. Gouverneur Boos ließ umgehend klarstellen, dass staatliche Mittel dafür nicht fließen werden. "Man wird Sponsoren finden müssen." Immerhin: einige Kaliningrader Unternehmen haben Hilfe schon zugesagt. Die Awtotor AG, bekannt durch die Montage von BMW-Limousinen für den russischen Markt, will sich an der Finanzierung beteiligen, und aus der örtlichen Filiale des Ölgiganten LukOil ist Ähnliches zu vernehmen. Eine erste Geberkonferenz brachte anderthalb Millionen Rubel zusammen - genug, um die Planungen in Auftrag zu geben.
Die gigantische Bausumme und die Aussicht auf Luxuswohnungen und Nobelhotels sorgen derweil für Skepsis. "Wer braucht dieses Schloss? Wem nützt es? Auf Schritt und Tritt stößt man in unserer Stadt auf gewaltige Probleme, die gelöst werden müssen, darum sollen die Beamten sich kümmern", schimpft ein Kaliningrader. Schweres Geschütz fahren die Kommunisten und Kriegsveteranen auf. Nicht nur, weil sie auf dem Schlossplatz ihr Lenindenkmal wieder aufstellen wollen - für sie ist das Schloss Symbol alter und neuer Feinde. In Wirklichkeit, vermutet Wla-dimir Nikitin, Chef der radikalpatriotischen Partei "Rodina" (Heimat), gehe es doch um einen schleichenden Loslösungspro-zess von Russland. "Für bestimmte Kreise in Kaliningrad ist das ein sehnlicher Wunsch. Diese Leute brauchen das Schloss als Symbol für die nichtrussische Bestimmung des Gebietes."
Auch aus der Pro-Königsberg-Fraktion kommen skeptische Stimmen. "Das wird kein Schloss, sondern eine Fassade ohne Seele. Die Leute, die das geplant haben, verstehen nichts vom Geist dieser Stadt", sagt Boris Abramow, Vorsitzender des Klubs der Heimatfreunde. Abramow hält den Wiederaufbau schlichtweg für Unsinn: "Was soll so ein Disneyland? Man sollte so viel Geld besser nutzen, um noch vorhandene Königsberger Baudenkmale zu retten, ehe die auch noch untergehen, weil sich niemand darum kümmert."
Mit dem Schloss bekomme die Stadt ihr urbanes Herz zurück, meint hingegen Prof. Wladimir Kulakow. Ostpreußen-Spezialist der russischen Archäologie. Er erinnert an große Wiederaufbau-Beispiele wie Danzig, Warschau oder Dresdens Frauenkirche und fordert, auch in Kaliningrad damit zu beginnen. "Hier wurde nach dem Krieg ein ganzes Stadtzentrum böswillig einplaniert, das man hätte erhalten können. Aber jetzt haben wir mit dem Wiederaufbau des Schlosses endlich die Möglichkeit, an die Ge-schichte anzuknüpfen und architektonische Wunden zu heilen."
Das Schloss, dieser legendenumrankte Mythos, taucht bereits wieder auf. Ein Metallzaun markiert die Stelle, an der es einst stand, dahinter fallt der Blick in Kaliningrads geschichtsträchtigste Baugrube: mittelalterliche Backsteinmauern, Gewölbereste, tonnenschwere Findlinge. Russische Archäologen haben seit 2002 große Teile Westflügels ausgegraben; noch immer werden die Reste des legendären Bernsteinzimmers hier vermutet. Die inzwischen freigelegten Reste ziehen als Freilichtmuseum täglich hunderte Besucher an. Da liegt zerbrochenes Geschirr aus dem Restaurant "Blutgericht" neben kunstvoll geformten Ziegeln und Resten von Wehrmachtskarabinem. Stellwände voller historscher Aufnahmen und imposanter Computersimulationen zeigen, wie das Schloss einst aussah und wie es wieder werden könnte.
Gegründet 1255 von den Mönchsrittem des Deutschen Ordens und zu Ehren Ihres Heerführers Ottokar II. von Böhmen Königsberg genannt prägte der burgartige Bau mit seinem 82 m hohen Turm über sieben Jahrhunderte das Bild der Ostseestadt. Am 18. Januar 1701 krönte sich Friedrich I. hier zum ersten preußischen König. Als die Königsberger Altstadt im August 1944 unter britischen Bomben in Schutt und Asche sank, wurde auch das Schloss schwer getroffen. Nach der Erstürmung der Stadt durch die Rote Armee blieb nur eine Ruine übrig. 1969 sprengte die Sowjetarmee die Schlossruine. Die Soldaten brauchten Wochen, um die Mauern in die Luft zu jagen.


Foto pa/akg, Plath



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