Heimat Bote Nr. 50

Hellmut Hanemann

Königsberg 2007



K
önigsberg hat zum 750 jährigen Stadtjubiläum einen großen Sprung nach vorne gemacht. Das Stadtzentrum ist total neu und renoviert. Überall sieht man gepflegte Blumenrabatten, Wasserspiele und Fontänen, neu erbaute und renovierte Gebäude. Die Straßen sind überwiegend in einem guten Zustand. In der Nähe des ehemaligen Nordbahnhofes, dort, wo der Eingang zur Ostmesse war, ist heute ein pompöser "Platz des Sieges", mit einer hohen Siegessäule, um die sich ein gewaltiger Lorbeerkranz windet. Der Platz ist unterteilt in großzügige Flanierflächen, Blumenanlagen und Sitzmöglichkeiten. Um den Platz gruppieren sich eine Reihe großer neuer Gebäude, unter anderem eine riesige neue orthodoxe Basilika mit fünf goldenen Kuppeln.

Der aufmerksame Besucher stutzt wohl einige Male, wenn er z.B. auf einer großen Tafel liest: "750 Kaliningrad, 2005". - So alt war der Kalinin schon? - Oder wenn er an der Siegessäule ein großes Relief betrachtet, auf dem der Heilige St. Georg, mit wehendem Mantel auf einem Pferd reitend, den bösen Drachen absticht und dazu die Jahreszahlen 1941 -1945 stehen. Daß die "Rote Armee" einen Heiligen zum Symbol hatte, gab mir zu denken.

Sonst aber kann man sich an den schönen und gepflegten Anlagen erfreuen. Auch im Park "Luisenwahl" und im Kosmonauten-Park, alles tadellos in Ordnung und neu. Man hat die Fassade der Stadt zum Feierjahr 2005 sehr schön geputzt.



Das restaurierte Theater in schönen Anlagen

Gerne hätte ich mir auch den Tiergarten angesehen, dessen Eingang genau gegenüber unserem Hotel Moskau lag, und in dem ich als Schüler viel Zeit verbracht habe. An der Kasse stand die Preistafel: "Erwachsene 70 Rubel, Kinder 40 Rubel". Also schob ich einen 100 Rubelschein rüber und verlangte eine Karte. Die Kassiererin musterte mich und verlangte 200 Rubel. Ich war irritiert und tippte auf die Preistafel. Sie deutete aber auf einen Aushang in einer Ecke ihres Fensters, auf dem stand: 200 Rubel. Mir wurde klar, daß das der Eintrittspreis für einen Ausländer war. Diese Unfreundlichkeit einem Gast gegenüber ärgerte mich und ich sagte: "Njet!". Später hörte ich, daß jemand aus unserer Reisegruppe für 70 Rubel in den Tiergarten gekommen war. Als ich meinem russischen Freund A. das erzählte, meinte er: "Dich erkennt man hier sofort als Deutschen! An deiner Brille, an deinem Auftreten, an allem." Ich sehe auch keinen Grund, das zu verheimlichen!
Das alte Königsberg habe ich nur noch in den stilleren Außenbezirken der Stadt gefunden, wie den Hufen oder Ratshof. Die Innenstadt ist laut und hektisch geworden, wie die meisten Großstädte im Westen auch.

Recht nervig ist der enorme Verkehr. Ich habe gelesen, daß in Kaliningrad mehr Autos angemeldet sind, als die Stadt Einwohner hat. Das kann ich kaum glauben, aber die Zunahme des Verkehrs ist augenfällig. Es wird forsch gefahren und wenn, wie auf der ehem. Hufenallee noch das alte unverwüstliche Pflaster aus der deutschen Zeit liegt, dann sind die Abrollgeräusche der Reifen besonders laut. Der Verkehr läuft sechsspurig, weil die Trasse der Straßenbahn auch als Fahrbahn genutzt wird. Die alten Straßenbahnen führen bei dem Autoverkehr ein kümmerliches Dasein. Der Zustand der Schienen ist auch trostlos. Dafür kostet eine Fahrt, beliebig weit, auch nur 8 Rubel (ca. 20 ct).

Das Geschäftsleben ist fast vergleichbar mit unseren Großstädten. Neben unserem Hotel war ein kleiner Supermarkt, der täglich 24 Stunden geöffnet hatte, auch sonntags. Hier gab es ein reichliches Angebot an westlichen Waren. Vor dem Eingang des Marktes saßen an der Straße den ganzen Tag über mehrere alte Frauen, die hofften, daß ihnen jemand ihre kümmerlichen Blumen, Beeren oder Pilze abkauften. Vor ihnen brandete der Verkehr auf der Straße vorbei, in dem sich erstaunlich viele Luxus-Limousinen, Geländewagen, Harley-Davidson-Motorräder usw. befanden. Das war die Negativseite der Stadt, und noch krasser auf dem Lande, die gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich! Auf der einen Seite wurde ganz bewußt mit dem Reichtum geprotzt, auf der anderen Seite spürte man bittere Not und Armut.

Besucht habe ich wieder die ev. luth. Kirche und das Gemeindezentrum am Hammerteich in Ratshof. Eine sehr schön gestaltte und gepflegte Anlage, in der sich die Reste der ev.-luth. Bevölkerung versammeln können, unter ihnen viele "Rußlanddeutsche" aus Kasachstan. Jeden Sonntag findet hier ein Gottesdienst in deutscher und russischer Sprache statt. Die Gemeindesekretärin nannte mir als Zahl der Gemeindeglieder etwas über tausend. Die gehörten natürlich nicht zu den Neureichen in Königsberg und so fehlt es der Kirche an finanziellen Mitteln, um die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen.

Es erfreut den deutschen Besucher, wenn er in Kaliningrad immer wieder feststellt, daß es Russen gibt, die sich für die deutsche Vergangenheit Königsbergs interessieren. Daß Kant hier eine große Verehrung genießt, ist ja bekannt. Ich fand aber auch eine zweisprachige Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus von Agnes Miegel und eine Ausgabe ihrer Gedichte in russischer Übersetzung. Am ehemaligen Hufen-Gymnasium steht jetzt ein Gedenkstein für Ernst Wiechert, der hier viele Jahre als Studienrat unterrichtet hat. Die Liste der Erinnerungen an die deutsche Vergangenheit ließe sich beliebig fortsetzen.


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