Heimat Bote Nr. 50

Wolfgang Gerwien

Pieselpampel

Welch ein komisches, aber lustiges Wort! Die Oma Berta Gerwien (Schips) aus Großheidekrug benutzte es oft! So waren meine Erinnerungen an sie. In ihrem Wortschatz kam auch das Wort "Schnüffeldepiepkefried" vor. In ihrer Küche roch es immer herrlich nach Pellkartoffeln, und beim Essen hieß es immer: "Nu´ eet man, Jungche!"

Berta und August Gerwien lebten nach dem 2. Weltkrieg in Albersdorf in Schleswig-Holstein. Auch die Kinder fanden im selben Ort Unterkunft. Die Kinder waren: Lene, Lina mit Ehemann Albert Holstein (Jud), Trude mit Ehemann Gustav Holstein (Jud) und mein Stiefvater Albert. Kurt war leider nicht mehr dabei, er fiel im Krieg.

Albert Gerwien begab sich aber vor 1950 nach Hamburg und heuerte dort auf einem Fischdampfer an. In Hamburg-Eimsbüttel nahm er sich ein Zimmer bei einem älteren Ehepaar. Bei deren Nachbarin war ich als kleiner Junge zur Pflege, weil meine Mutter allein stehend war und zur Arbeit gehen musste. So kam es, dass Albert meine Mutter kennen lernte und mir immer eine Tafel Schokolade schenkte. Bald darauf heirateten beide, und auf einmal hatte ich einen Vater. Dies alles hatte ich als Dreijähriger gar nicht so richtig mitgekriegt. Man erzählte mir einfach: das ist nun der Papi, und der ist auch nicht immer zuhause, weil er immer zur See fahren muss! Das habe ich dann auch verstanden, und dann war es eben so!

Nun hatte ich richtige Eltern! Wir zogen dann nach Hamburg-Altona (war ja in der Nähe vom Hafen), und Albert fuhr noch ein paar Jahre zur See, Fische fangen (das lag wohl so in der Familie Schips Gerwien). Ich weiß noch, dass mein Vater, und zwar immer wenn er von See kam, ein Fass mit Heringen nach Albersdorf schickte, damit Oma und Opa ordentlich "wat to Freede" (was zu Essen) hatten. Und irgendwann fuhr Albert nicht mehr zur See und suchte sich einen "feinen Job" im Hafen. Mal als Festmacher, mal im Hafenschuppen, dann auf dem Lotsenschiff, ja sogar mit schicker Uniform auf der Hamburger Staatsbarkasse! Und wir besuchten oft die Großeltern in Albersdorf. Und Oma Berta begrüßte mich immer mit: "Na du Pieselpampel!"

Lene hatte inzwischen Willi Köster geheiratet. Lina war mit ihrem Mann nach Dortmund umgezogen. Und Trude zog mit ihrem Mann nach Rendsburg.
Meine Aufenthalte in Albersdorf waren immer sehr schön. Die Luft des Ortes war durch den Baumreichtum sehr sauber. Und ich hörte immer wieder dieses Ost-preußenplatt vom Frischen Haff. Ich kann es heute nicht fließend sprechen, aber verstehen kann ich es gut! Es wurde auch viel von der alten Heimat erzählt. Dass August Gerwien ein Segelboot zum Fischen hatte. Dass die Familie ein kleines einfaches Haus bewohnte, und dass man etwas Land für den Eigenbedarf nutzte. Oma Berta verkaufte die Fische oft in Königsberg. Aber Fotos gab es nicht, und so hatte ich mir meine phantasievollen Bilder im Kopf gemacht. Man erzählte mir: Großheidekrug war ja weit weg, und da ist nun der Russe drin, und das werden wir nie, nie wiedersehen! Schade, so dachte ich mir, ich hätte gerne Fotos von Großheidekrug gesehen, aber damit musste man sich wohl abfinden, dass es wohl nie, nie welche geben wird.


Großheidekrug, Klassenfoto von 1933. Pfeil zeigt auf Albert.

Und so verging die Zeit. Berta und August sind dann verstorben. Ich heiratete und meine Frau und ich bauten ein Haus in Schleswig-Holstein, Kreis Kaltenkirchen. Mein Stiefvater Albert verstarb leider im Jahre 1979 im Alter von 58 Jahren. Seinen Enkel hat er nicht mehr erleben dürfen.

Die Zeit schritt voran, und die Kommunikationstechnik wurde immer besser. Das Internet zog in unser Haus ein. Und auf einmal gab es reichlich Fotos von Ostpreußen und speziell von Großheidekrug! Durch einen Zufall las ich auf einer Website den Namen

Gerwien und Großheidekrug. Ich stieß auf die Internetseite vom Heimat-Boten, die von Elke und Siegfried Hanemann betrieben wird. Ein reger E-Mail-Austausch fand sofort statt, und Herr Hanemann schickte mir sehr viel Informationsmaterial aus dem Heimatort meines Stiefvaters. Ich bekam einige Ausgaben des Heimat-Boten, sowie einen Buchband mit vielen Geschichten aus dem Ort. Sogar die Oma Berta wurde in zwei Artikeln erwähnt! Das war toll!

Und als i-Tüpfelchen stellte Herr Hanemann den Kontakt zu Erwin Holstein (Admiral) her. Wir telefonierten miteinander, und ich erfuhr, dass Erwin meinen Stiefvater gut von früher kannte, ja sogar mit ihm zur Schule gegangen war. Ich fuhr daraufhin zu Erwin nach Rendsburg. Und was ich die ganzen Jahre nicht für möglich hielt, Erwin hatte sogar drei Klassenfotos in seinem Bildarchiv, wo Albert als kleiner Junge zu sehen ist! Wahnsinn! Und damit noch nicht genug! Ich bekam noch obendrauf eine DVD mit einem Film über Großheidekrug

Nun sehen die "Fotos" in meinem Kopf auf einmal ganz anders aus. Ich kann mir jetzt ein Bild von Großheidekrug machen. Wie die Menschen damals dort gelebt hatten, und wie die russischen Bewohner dort heute leben. Und somit möchte ich hiermit meinen kleinen Artikel beenden und mich auf diese Weise bei den Eheleuten Hanemann herzlich für alles bedanken!


Zurück
zum Seitenanfang

Zurück
zum Inhalt Nr. 50