Heimat Bote Nr. 38


Die zweite Flucht

Diese Erlebnisse knüpfe ich an die Geschichte über meine Flucht an, die im HB Nr. 35 "Es begann 1944" nachzulesen ist.
Mein Mann war nach Hause zu seiner Familie in Berlin gekommen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten in unserm Zusammenleben änderte sich Entscheidendes für mich. Endlich war ich nicht mehr mit kleinem Kind und schwerbehindertem Schwiegervater alleine belastet. Es gab auch wieder etwas zu essen, denn mein Mann scheute sich nicht, auf Hamstertouren zu gehen.
Ich aber bekam zunehmend Sehnsucht nach meiner Familie. Die war nach ihrer Flucht aus Großheidekrug Ende Januar auf einem Rittergut bei Bevensen in Natendorf – ein kleines gemütlches Nest mit etwa 300 Einwohnern untergekommen. Weil mein Mann meine Familie dort schon vorgefunden hatte, als er im Westen von den Amerikanern entlassen wurde, kannte er die Verhältnisse gut.
Die Familie bewohnte eine sogenannte Instwohnung, zu der ein Stall, ein Garten und eine kleine Waschküche oder Wirtschaftsküche gehörten. Die Wohnung, bestehend aus einer großen Küche ohne Vorflur mit drei Zimmern, war mit Wehrmachtsschränken und Wehrmachtsbetten eingerichtet.
Die Familie hatte schon ein Schwein vom Gut bekommen, und es konnten auch Hühner gehalten werden. Die beiden Jungen von meiner Schwester freundeten sich mit Engländern an, die sich als Besatzer recht human verhielten und den Kindern einiges Eßbares zusteckten.
Sie hatten Glück gehabt, vor allem, wenn man bedenkt, was zu diesem Zeitpunkt noch in unserer Heimat los war. Vater wurde sofort von den Gutsbesitzern zur Arbeit eingespannt, was ihm ganz recht war. Er krempelte die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit. Währenddessen saß unsere Mutter still und verstört am Fenster, ängstigte sich um ihren Sohn Willi, von dem wir alle noch nichts gehört hatten und weinte um ihre Eltern, die sie in Großheidekrug hatte zurücklassen müssen. Opa hatte todkrank im Bett gelegen und Oma ließ ihn nicht alleine.
Meine Schwester war mit beiden Kindern auf die Flucht gegangen, und die beiden Jungen sorgten für Leben und Abwechslung im Haus. Aber wenn es Brot ohne Butter gab, dann schaute der 3jährige seine Oma aus nassen Augen an und bettelte: "Ook Boatta, Oma, ook Boatta. Aber Butter gab es auch dort noch keine.
Das alles hatte ich von meinem Mann erfahren, und nun wollte ich endlich zu meinem Eltern. Wir planten, eine. Tour bei Nacht und Nebel über die Grenze nach Westen. Schließlich war es einigen doch ganz gut geglückt. Unsern kleinen Sohn ließen wir in der guten Obhut der leiblichen Mutter meines Mannes, die für diese Zeit auch zum Schwiegervater gezogen war.
Die Russen erwischten uns und sperrten uns zusammen mit noch etwa 15 Leuten – jungen Männern und Frauen – in einen sehr unwirtlichen Keller, der mit Bohlen ausgelegt war, unter dem das verdreckte Wasser nur so blubberte. Wir suchten uns einen trockenen Platz und saßen erst einmal in der Falle.
Aber in der Nacht waren sie da. Ein paar junge Männer versteckten mich schnell zu ihren Füßen, wickelten eine Decke um mich und setzten sich um mich herum. Die Russen suchten sich alle Frauen zusammen und zogen mit ihnen ab. Am anderen Morgen aber kamen die Frauen und jungen Mädchen zwar sehr müde, aber ganz froh wieder zurück. Außer, daß sie die Unterkünfte reinigen mußten, war ihnen nichts passiert; eine Russin hatte das Kommando geführt. Mittags bekamen wir einen Riesentopf mit Kascha Alle saßen wir um den Topf herum und stopften uns das Essen mit den Fingern in den Mund. Und wehe, man zeigte, daß es nicht gefiel! Wir schickten uns und fanden diese Art, das Essen zu uns zu nehmen, auch ganz lustig.
Ein Scherzbold hatte an die gekalkte Wand einen Spruch geritzt: "Ich sah mich schon im Geiste zu Haus beim Suppenteller/da nahte mein Freund Iwan, und ich verschwand im Keller./ Jetzt frage ich mich bange, wie lang wird das noch gehen,/ werd` ich denn wirklich noch mal die teure Heimat sehn?" "Du lesen", schrie der eine Russe einen von uns an. Er las und der Russe jagte uns, immer ein wenig mit seinem Gewehr schubsend, alle aus dem Keller. Hier mußten wir stramm stehen. Das Gewehr auf uns gerichtet um Himmelswillen, was kommt jetzt? schrie er uns an: "Du jetzt nach Börlin , und wenn Du noch einmal sähen diese Gewärr, denn du wissen"
Erleichtert machten wir kehrt und versuchten es an einer anderen Stelle wieder. Bei einem Bauern fanden wir Unterschlupf. Der versteckte uns in seiner Scheune, um vor den Wachen zu schützen, die alle grenznahen Wohnungen wegen eventueller Grenzgänger untersuchten. Hinter Eggen und Häckselmaschinen, alten Kartoffelsäcken und sonstigem Geschirr saßen wir wie die verängstigten Hasen, denn wir waren auch nicht sicher, ob der Bauer nicht doch mit den Russen paktierte. Alles ging gut. Wir bekamen noch gute Ratschläge für den Weg und wurden immer wieder ermahnt, ganz leise zu sein, zu schleichen und uns ab und an auf den Boden zu legen, so könne man die schweren Schritte der Wachhabenden eventuell vernehmen. Einen gar nicht so kleinen Graben müßten wir allerdings bewältigen; denn den galt es zu überspringen, aber dann seien wir bald auf westlichem Boden, und jung seien wir ja auch, das würden wir schon schaffen. (Ich war 22, mein Mann zwei Jahre älter).
Wir machten uns in finsterer Nacht auf den Weg. Ab und an strich von der anderen Seite ein Scheinwerfer über die Felder, und flugs lagen wir ein um das andere Mal mit unsern Rucksäcken auf dem Boden. War das eine Nacht! Endlos! In der Ferne erblickten wir endlich ein Licht. War es das von dem Bauern beschriebene Haus im Westen, und sollten wir es wagen, dort anzuklopfen? Wir wagten es. Es dauerte lange, bis sich jemand meldete. Im Flur sitzend durften wir den anderen Morgen erwarten. Immerhin gab es einen kärglichen Happen zum Frühstück. Dankbar machten wir uns auf den Weg. Aber es gab keine öffentlichen Verbindungen. Wir mußten alles erlaufen, Kilometer um Kilometer. Für eine kurze Strecke nahm uns ein englisches Militärfahrzeug mit.
Als wir endlich in dem kleinen Dorf angekommen waren, war es längst schon wieder dunkel. Ich machte mich bei den Eltern erst bemerkbar, als ich schon in der dunklen Küche stand. Dort fiel ich meiner wie versteinerten Mutter einfach in die Arme. "Ach Gott, ach Gott, mein Kind, mein Kind!" Und schon standen sie alle um uns herum, mein Vater, meine Schwester und die beiden kleinen Jungen, die einen Freudentanz um mich herum aufführten. Ach, war das schön! Es wurden ein paar wunderschöne Tage, die ganz allmählich dadurch getrübt wurden, wenn wir auf die Rückreise zu sprechen kamen.

Die Eltern packten ein, was sie entbehren konnten. Es gab ein Stück Speck, mehrere dicke Speckschwarten, ein bißchen selbstgemachte Wurst und auch Sirup aus Zuckerrüben und eine kleine Flasche vom selbst gebrannten Schnaps. Durch die Zuwendungen vom Gut wie Kartoffeln und Milch etc. konnten meine Eltern schon kleine Tauschgeschäfte mit Hamsterfahrern aus Hamburg und Umgebung machen, mit denen sie vor allem notwendige Kleindung eintauschten. Bis auf eine kinderreiche Familie, waren die "Ureinwohner" nicht unbedingt bereit, etwas abzugeben.
Der Rucksack meines Mannes war voll und ihm nichts zu schwer. Sogar Zigaretten, die Vater von den Engländern hatte, konnten wir einpacken, denn die waren eine gute Handelsware; wir rauchten ja nicht.
An der Grenze gab man uns den Rat, bloß nicht in der Nacht den Übergang zu wagen, am Tage sei alles viel besser, auch dann, wenn sie einen erwischten. Wir machten uns am frühen Morgen auf den Weg. Alles blieb still, kein Mensch war zu sehen. Um uns herum nichts als Gegend. Rechts ein Bahngleis, das schon lange nicht mehr befahren war und rundherum ein paar Sträucher.
Aber dann standen sie, wie aus dem Erdboden gewachsen, vor uns. Sie müssen gelegen haben, anders war das nicht zu erklären. Sie jagten uns in ein verlassenes Bahnwärterhäuschen dort saßen noch ein paar andere von ihrer Sorte und schlossen die Tür hinter meinem Mann, hörbar und heftig. Ich saß allein auf einer wackeligen Bank und dachte an Verschleppung und daß ich mein Kind sicherlich nicht wiedersehen würde und vor allem auch daran, was mir als Frau noch alles blühen könnte. Erst hörte ich noch Lachen, dann wurde es stiller und auf einmal hörte ich überhaupt nichts mehr.
Wie hysterisch fing ich an zu kreischen. Ein Russe stürzte aus dem Häuschen, hielt mir den Mund zu und schüttelte mich. "Du sooo klein, du nix Frau, du Kind kleines, du hier", dabei zeigte er mit seinem Finger auf meine Schläfe. Zur Beruhigung bekam ich eine Schale mit Hirsebrei, die ich unter Bewachung auslöffeln mußte. Es war das Schlimmste, das ich jemals essen mußte. Ich sah meinen Mann – dieser Lebenskünstler winkte mir fröhlich, wenn auch ein wenig blaß zu sie hatten ihn also nicht umgebracht. Aber alles nahmen sie ihm ab, alles, was die Eltern uns eingepackt hatten. Dafür versprachen sie ihm, uns ungeschoren zu lassen. "Jetzt nicht mehr Wache, jetzt nicht mehr Ruuski, du gehen nach Börlin!" Ach ja, ein paar Papyrossi steckten sie uns zu, und dann durften wir gehen. Na, die hatten es mit unsern Lebensmitteln gut getroffen. Wir wußten ja, daß die Russen nicht gerade gut verpflegt wurden; aber gefallen hat es uns keineswegs.
"Erleichtert" von allem, was wir uns so mühsam besorgt hatten, machten wir uns auf den Nachhauseweg, immer an den Bahnschienen entlang. Auf diese Weise mußten wir ja einen Ort finden. So und da standen sie wieder, wieder zwei, aber zwei andere, die wir noch nicht gesehen hatten. "S t o i ! S t o i !" brüllten sie uns entgehen und bedrohten uns mit ihren Gewehren. Ich erblickte ein Stückchen weiter einen Bauern hinter einem Pflug, rannte wie von Furien gehetzt auf ihn los und klammerte mich an seinen Hals. Die beiden rannten mit meinem Mann im Schlepptau hinter mir her, aber der Bauer versuchte, Ruhe in das Chaos zu bringen. Er zeigte auf mich als "seine Schwester", und sprach von einem Lazarett, in das wir dringend müßten. "Ah, L a z a r e t t – L a z a r e t t" das war ein Wort, das sie verstanden. Und nun durften wir endlich gehen und uns einen Zug nach Berlin suchen.
In Berlin hatte ich mich eingelebt. Die Begegnung mit den Berlinern und ihren großen Herzen, ihrer Hilfsbereitschaft, und die gemeinsamen Erlebnisse während der schweren Kämpfe um Berlin, vermittelten ein schönes Zusammengehörigkeitsgefühl.
Nach wie vor halfen wir uns gegenseitig, und wenn irgend ein Güterzug auf den Gleisen mit Kartoffeln oder Kohlen oder sonstigen Lebensmitteln stand, dann schlichen wir uns ran und klauten, was wir nur konnten und teilten. Mein Mann ging auf Hamstertour und kam selten mit leeren Taschen wieder. Ein Freund von ihm hatte einen Zigarrenladen gehabt, und die noch verbliebenen Reste, wie vor allem Kautabak, wurden eine gute "Handelsware" auf dem Lande.
Wir waren jung, und das Leben nahm wieder von uns Besitz. Wir fanden uns zu lustigen Abenden zusammen. Jeder von uns brachte ein Brikett für den Ofen mit, und Plätzchen, woraus sie auch immer gebacken waren, wurden hübsch geteilt. Wer Kinder hatte, bekam ein paar mehr.
Mein Mann hatte in der großen Stadtbibliothek Arbeit gefunden und konnte sogar stundenweise bei einer Zeitung volontieren, denn Journalist wollte er nach wie vor werden. Dort hatte er sich mit einem jungen Mann bekannt gemacht, der bei den Amis dolmetschte. Der brachte uns solche wunderbaren Sachen wie Apfelsinen und sage und schreibe auch Bananen mit. Mein Sohn spuckte diese im hohen Bogen wieder aus. Es hat lange gedauert, bis er sich daran gewöhnt hatte.
Nach der Kapitulation von Berlin setzten die Russen alles daran, so schnell wie möglich wieder Normalität herzustellen, und die Lebensmittelversorgung wurde eingeleitet. Es gab zwar immer noch Lebensmittelkarten, aber mit längerem Anstehen waren dann auch die noch immer recht spärlichen Zuteilungen zu bekommen.
Die Stadt war in einem verheerenden Zustand; die Menschen auch, vor allem die alten. Schließlich waren fast 80 Mill. Kubikmeter Schutt zu beseitigen. Die Trümmerfrauen waren ganz schön eingespannt. Einige Straßenbahnen fuhren schon wieder, und auch Nahverkehrszüge konnten wieder in Gang gesetzt werden.
Ein kleines Erlebnis nebenbei: Ich stieg mit meinem zweijährigen Sohn in eine Straßenbahn, ohne zu merken, daß sie nur russische Soldaten beförderte. Was blieb mir übrig, raus konnte ich nicht mehr. Die Besatzer lachten und grölten, nahmen mir mein Kind aus den Armen, und jeder von ihnen nahm es auf den Schoß und machte "Hoppereiter" mit ihm. Hoffentlich, dachte ich, komme ich hier wieder raus. Sie reichten mir unter Gelächter mein Kind wieder und amüsierten sich über meine Ängste. Als ich befreit ausstieg, zeigte ich ihnen einen Vogel, worauf sie noch mehr lachten. Dieses Erlebnis zeigte jedoch, daß es zwischen uns etwas normaler wurde.
Jedes zweite Haus in der Berliner Innenstadt war schwer zerstört, in den Außenbezirken jedes vierte, und die noch stehengebliebenen waren alle reparaturbedürftig. Von den 4,4 Millionen Einwohnern blieben keine 3 Millionen mehr übrig. Fast achtzigtausend Zivilisten waren umgekommen, ein Teil war aus Berlin geflüchtet.
Bei den höheren russischen Offizieren hatten Kunst und Kultur eine hohe Priorität. Ganz schnell arbeiteten wieder einige Theater, und ich glaube, auch das Opernhaus. Russische Filme konnte man sich ansehen; verstanden haben wir wenig davon; aber daß "Iwan Iwanowitsch sich ärgerte", das blieb auch uns nicht verschlossen. Aber wie heißt es so schön in Schillers Glokke:........"doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew`ger Bund zu flechten, und das Unglück schreitet schnell..."
Es blieb nicht aus, daß sich die Politik regte. Wir wohnten leider in Ostberlin. Die Kommunisten regten sich, und politische Vorträge fanden an jeder Ecke statt. Bei uns wurden sie immer auf dem nahegelegenen Humannplatz abgehalten. Es ging vor allem darum, nun endlich eine kommunistische Regierung zu bilden und vor allem auch um Aufklärung, wie schlimm und wie elend es im Westen zuging

Mein Mann, der diese Versammlungen stets besuchte, kam jedesmal wütend nach Hause. Er widersprach auch den Rednern ständig, legte sich z.T. sogar mit ihnen an und zog die Aufmerksamkeit auf sich, was dann auch schwerwiegende Folgen hatte. Sie bestellten ihn ganz freundlich zu einer Besprechung, wirkten auf ihn ein, doch bei ihnen zu arbeiten und wurden in ihren Forderungen von Mal zu Mal immer massiver.
Jetzt beschlichen uns Ängste. Ich wagte mich nicht mehr aus dem Haus, jeder unserer Schritte wurde beobachtet, wie man uns mit vorgehaltener Hand zuflüsterte, und mein Mann wurde auf verschiedene Leute, die im Westen Berlins wohnten, als Spitzel angesetzt, und auf einen aber ganz besonders. Der wurde gleich von ihm gewarnt. Bei den andern hat er sich jedesmal Unverfängliches ausgedacht. Es nahm bedrohliche Formen an. Sie schleppten ihn von einer Wohnung in die andere, manchmal auch zu einer russisches Kommandantur(NKWD), und jedesmal kam er bleicher und übermüdeter nach Hause, manchmal aber auch erst spät in der Nacht.
Mein Schwiegervater und ich saßen dann verstört in der Küche und versuchten, uns gegenseitig Mut zu machen. Ein uns befreundeter Arzt gipste meinem Mann einen Arm ein, und wir meldeten uns zu einem kleinen Erholungsurlaub nach Schwerin ab. Wir haben die Leute verständigt, die beobachtet werden sollten und mit denen einen Plan ausgeheckt, wie wir schnellstens, jedoch getrennt, Berlin verlassen sollten.
Damals wurde die Grenze auf Betreiben der anderen Besatzungsmächte wegen der angestrebten Familienzusammenführungen zeitweise geöffnet. Allerdings mußte jeder seinen Ausweis vorzeigen. Konnten wir sicher sein, ob wir an den Grenzen nicht registriert waren? Wir versuchten es auf anderen Wegen. Hatten wir doch die Hoffnung, daß wegen der Grenzöffnungen eine so starke Kontrolle nicht stattfinden würde.
Ich nähte für unsern kleinen Sohn einen Tragestuhl aus einer Wehrmachtsdecke mit zwei Griffen, so daß die Last für einen nicht so schwer wurde. Der nette Arzt gab uns ein Beruhigungsmittel ich glaube es waren Luminaletten, die für das Kind ungefährlich waren, es aber gut schlummern ließen. Wir schlichen also wieder einmal bei Nacht und Nebel über die Grenze, diesmal aber mit einem ganz anderen Gefühl. Was wohl würde man mit uns machen, wenn man uns erwischte.? Von Ostberlin verschwanden sehr schnell Menschen für länger oder auch für immer.
Verschwitzt und fertig schafften wir es schließlich bis Friedland. Einer Entlausung konnten wir nicht entgehen. Aber wir bekamen ein Frühstück für drei, denn unser Kind war endlich aufgewacht und wunderte sich gar nicht. Da, wo Mutter und Vater sind, da wird es schon stimmen, strahlte es uns an.
Mein Mann hatte vom Magistrat Berlin ein Schreiben für die Landesregierung in Kiel bekommen. Dort bekamen wir eine Zuzugsgenehmigung und gleich auch eine kleine Wohnung. Bis das aber alles geregelt war, blieb ich vorerst mit meinem Sohn bei meinen Eltern, die mein Kind ja auch noch nicht kannten.
Aber es dauerte nicht lange, da begann für uns ein neuer Anfang. in Kiel. Die Umstellung von Ostberlin in den Westen war so befreiend, daß ich diesem Zustand anfangs skeptisch gegenüber stand. Ich konnte es zuerst gar nicht fassen, so frei aller Beobachtung leben zu dürfen.
Meinem sehr schwer behinderten Schwiegervater, den wir in Berlin lassen mußten, und der auch gar nicht mitgekommen wäre, hat man die Seele aus dem Leib gefragt, ihn dann aber in Ruhe gelassen, da sein Widerstand gegen das nationalistische Regime bekannt war. Er hatte dadurch als Beamter erhebliche berufliche Einbußen erlitten
Mein Bruder (Flakhelfer) noch keine 17 Jahre alt, war zu unser aller Freude auch von den Amerikanern bei den Eltern eingetroffen. "Geh nach Hause, mach Deine Schularbeiten!" Die ganze Familie zog nach ein paar Jahren nach Köln. Mein Vater fand Arbeit beim Wasserschifffahrtsamt.
Mein Mann hatte sein Berufsziel erreicht, er wurde ein bekannter Sportjournalist. Ich aber verließ ihn, meinen Sohn an der Hand und stieg sang und klaglos , zum Entsetzen meiner Eltern, und trotz seiner vergeblichen Gegenwehr, nach elf Jahren aus dieser turbulenten Ehe. Ja, so ist das Leben .........eben.

E. MoHanemann


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